Jean-Claude Juncker tritt nach fünf Jahren als EU-Kommissionspräsident ab. Er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass Griechenland in der Eurokrise gerettet wurde. Den Brexit werde er aber "immer bedauern", sagte der Luxemburger bei seiner Abschiedsrede im Europaparlament Ende Oktober. In Erinnerung bleiben werden sein Humor und seine unkonventionelle Sprache gegenüber den Mächtigen der Welt.
So begrüßte er den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban beim EU-Gipfel 2015 schon einmal mit "Hallo, Diktator" und tätschelte ihm die Wange. Dem damaligen belgischen Premier Charles Michel gab er einen Kuss auf die Glatze, ebenso wie seinem Kommissions-Vize Frans Timmermans. Legendär ist auch sein Klaps auf den Hinterkopf des damaligen Bundeskanzlers Werner Faymann (SPÖ), als dieser vor laufenden Kameras Rede und Antwort stand.
Küsse und liebevolle Watschen verteilte er generell gerne. Seine Meinung hielt Juncker dennoch nie zurück, und Kritik an seinem Gegenüber verpackte er stets so geschickt, dass jeder wusste worum es geht, ihm aber niemand böse sein konnte. Als der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) während der österreichischen Ratspräsidentschaft in Brüssel weilte und auf seiner auf Abschreckung basierenden Flüchtlingspolitik beharrte, sagte Juncker, der sich darüber stets geärgert hatte, zu Kurz: "Du weißt, dass ich ein großer Anhänger des Wiener Schnitzels bin. Ich frage in der Mongolei und in Afrika immer nach Wiener Schnitzel. Aber auf den Teller des Hauses EU gehört nicht nur Wiener Schnitzel. Okay, vielen Dank."
Aufgewachsen ist Juncker im Süden Luxemburgs. Sein Vater war Stahlarbeiter und christlicher Gewerkschafter. Das dürfte ihn geprägt haben, so sagte er einmal: "In der christlichen Soziallehre heißt es, Eigentum verpflichtet. Also verpflichten wir das Eigentum." Die Mittelschule absolvierte der am 9. Dezember 1954 Geborene im grenznahen belgischen Arlon, ehe er zum Studium der Rechtswissenschaften ins französische Straßburg ging. Nach dem Studium legte er in Luxemburg die Rechtsanwaltsprüfung ab. Als Anwalt arbeitete er allerdings nie, sondern stets als Berufspolitiker.
Luxemburgs Politik prägte er nicht nur 18 Jahre als Premier, sondern auch 20 Jahre als Finanzminister. Von 2005 bis 2013 stand er zudem an der Spitze der Gruppe der Euroländer, in der sich die Finanzminister der Währungsunion treffen und die Weichen für die europäische Politik etwa in Steuerfragen stellen. Nach einer Geheimdienstaffäre und Neuwahlen verlor Juncker 2013 die Regierungsmehrheit im Großherzogtum, womit der Weg frei war für eine Kandidatur als EVP-Spitzenkandidat bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014.
Junckers Karriere hätte aber zweifelsohne schon viel früher enden können. Nach einem schweren Verkehrsunfall im Herbst 1989 lag er zwei Wochen in kritischem Zustand im Koma. Danach musste er das Gehen erneut lernen und seit dem Unfall leidet er eigenen Angaben zufolge an einem beschädigten Ischiasnerv und Gehproblemen. Das hinderte die britische Boulevardpresse und die extreme Rechte in Europa, angeführt von FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, nicht daran, seine manchmal etwas unorthodoxen Umgangsformen scharf zu kritisieren und ihm zumindest indirekt einen Hang zum Alkohol vorzuwerfen.
Als erster hatte Junckers Nachfolger als Eurogruppen-Chef, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, 2014 diese Vorwürfe erhoben. In einer Fernsehsendung meinte Dijsselbloem, mit dem Abgang des "verstockten Rauchers und Trinkers" Juncker aus der Eurogruppe sei die Stimmung "calvinistischer" geworden. Doch habe er nie erlebt, dass ein Mitglied der Eurogruppe "funktionsunfähig" gewesen sei, sah sich der Niederländer noch in der gleichen Sendung genötigt zu betonen. Juncker dementierte damals schon heftig, und Dijsselbloem konnte sich nach dieser Aussage auch den Posten als EU-Währungskommissar, auf den er geschielt hatte, abschminken.
Beim NATO-Gipfel 2018 sah die ganze Welt seine aufgrund eines Ischiasleidens ausgelösten Gehprobleme. FPÖ und AfD nutzten das aus und erneuerten die Alkoholvorwürfe. Juncker stellte klar, dass er nicht betrunken gewesen sei, sondern wegen Schmerzen taumelte. "Man kann nicht Trump in die Knie zwingen, wenn man betrunken ins Weiße Haus geht", stellte Juncker in einem Interview vor Kurzem klar. Schließlich hatte er dem abstinenten US-Präsidenten im vergangenen Jahr den vorläufigen Verzicht auf Zölle auf EU-Autoimporte abgerungen.
Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wird sicher einen anderen Stil pflegen als Juncker. Dessen Humor wird aber sicher fehlen, sein Wirken für Europa bleibt unbestritten. In einer Rede anlässlich der Vergabe des Friedensnobelpreises an die EU im Jahr 2012 fand er wie so oft die passenden Worte, im Nachhinein betrachtet, wohl auch die Motivation für sein politisches Lebenswerk: "Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!"
Ein Meister des beißenden Humors
Jean-Claude Juncker ist für seinen beißenden Humor und markigen Sprüche bekannt. Selten hielt er in seiner Zeit in als EU-Kommissionspräsident (2014-2019) oder als Premierminister Luxemburgs mit Kritik hinterm Berg. Aber auch seine Zuneigung äußerte er klar und deutlich. Österreich blieb von beidem nicht verschont. Eine Auswahl:
ÖSTERREICH ...
"Ich hätte gerne, dass Österreich sich endgültig darauf verständigt, welche Rolle Österreich, die Republik, in Europa spielen möchte, und ich halte die Europäische Union für nicht komplett ohne das österreichische Dazutun." - Juncker in einem ORF-Interview im November 2019 zum Ende seiner Amtszeit
"Ich habe mich in diese Dinge nicht einzumischen", räumte Juncker ein, fügte aber nicht völlig ohne Koketterie an, er sei "wahrscheinlich in Brüssel derjenige, der Österreich am besten kennt." - Juncker ebenfalls im ORF-Interview 2019
"Ich äußere mich nicht zu der Regierungsbildung - obwohl das, was sich anbahnt, mir sehr gut gefällt." - Juncker ebenfalls im ORF-Interview 2019 zu den türkis-grünen Sondierungsgesprächen in Wien
"Der (Sebastian Kurz, Anm.) ist ja schon öfter in Brüssel als ich." - Juncker im Juni 2018
"Wenn ich noch einmal heiraten würde, würde ich Herrn Putin sicher nicht einladen." - Juncker will im Sommer 2018 im Gegensatz zur früheren Außenministerin Karin Kneissl kein Tänzchen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
"Salzburg ist eine Garantie für Gipfelerfolge, weil es gibt viele Gipfel um den Gipfel herum. Und einer ist schöner als der andere. Ich musste allerdings nicht zu einem Europäischen Rat kommen, um Salzburg zu entdecken. Ich bin einmal pro Jahr hier, sage aber nie wie, weil ich mich sonst der Liebeszuwendungen der Österreicher nicht erwehren kann. Das war als Liebeserklärung gedacht." - Juncker nach dem Salzburg-Sondergipfel im September 2018
"Auf Euren Kleinkram lach ich." - Juncker reagiert auf Kritik der FPÖ an seiner Person während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im Juli 2018.
"Auf den Teller gehört nicht nur Wiener Schnitzel. Du weißt, dass ich aber ein großer Anhänger des Wiener Schnitzels bin. Ich frage in der Mongolei, in der Elfenbeinküste, in Afrika, in Asien, überall nach Wiener Schnitzel. Aber auf den Teller des Hauses gehört nicht nur Wiener Schnitzel." - Juncker in seiner Rede zum Auftakt der österreichischen Ratspräsidentschaft in Richtung Bundeskanzler Kurz.
"Sebastian, komm in meine Arme" - Juncker empfängt Kanzleranwärter Sebastian Kurz (ÖVP) nach seinem Wahlsieg 2017.
"Du musst rechts stehen, du stehst ja rechts auf beiden Füßen" - Juncker hilft einem verwirrten Kurz beim Zurechtfinden der Platzierung zu einem gemeinsamen Foto beim Besuch 2017.
"Hören Sie mit dem österreichischen Klamauk auf." - Juncker wischt Einwände gegen eine rasche CETA-Ratifizierung im Juli 2016 vom Tisch.
"Wir müssen mit vielen komischen Kostgängern umgehen." - Juncker ist im Mai 2016 auch für den Umgang mit einem Bundespräsidenten Norbert Hofer (FPÖ) gewappnet.
Als die frühere österreichische Finanzministerin Maria Fekter 2015 vorschnell die ESM-Aufstockung verkündete, sagte der damalige Eurogruppen-Chef Juncker wütend eine Pressekonferenz ab. Die ÖVP-Politikerin machte anschließend Junckers Nierensteine für die Verstimmung verantwortlich. Auf seinen Gesundheitszustand angesprochen meinte der Luxemburger nur: "Den kenne ich selbst."
... UND ANDERE
"Hallo Diktator" - Juncker begrüßt den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban bei einem EU-Gipfel 2015; Orban konterte laut seinem Sprecher in Anspielung auf Junckers Heimat Luxemburg: "Hallo, Großherzog!"
"Ich hoffe, dass er nie in die Lage kommen wird, den Trümmerhaufen zu beseitigen." - Juncker reagiert im Oktober 2018 mit Ironie auf den Vorhalt des rechtspopulistischen italienischen Vizepremiers Matteo Salvini, Leute wie er, Juncker hätten Europa "ruiniert".
"Man hat mich kritisiert, aber ich habe ein dickes Fell. Ich habe die Hände zu Fäusten geballt, in der Tasche, aber keiner darf denken, dass ich naiv wäre." - Juncker zur Kritik Renzis am EU-Budget im Jänner 2016
"Ich sage Putin immer, um ihn zu beruhigen: Warum hat Luxemburg Russland noch nicht angegriffen? Wir haben keinen Platz, um die Gefangenen unterzukriegen." - Juncker im Dezember 2017
"Das reicht nicht. Du musst das auch Europa erklären." - Junker erzählt von seinem Gespräch mit US-Präsident Donald Trump im Sommer 2018 und dessen Unmut darüber, dass er bereits sämtlichen Regierungschefs seine Position im Handelskonflikt dargelegt hatte.
"Das hat ihn sehr beeindruckt, und mich noch mehr. Weil wenn man als Luxemburger in Washington sitzt und sagt: 'I am the man!' - das ist schon einmalig." - Juncker erklärte Trump, dass das zähle, was der EU-Kommissionspräsident der Union vorbringt.
BREXIT und die BRITEN
Glauben Sie, dass Sie die Briten im Boot halten können? Juncker: "Die Briten können schwimmen." - Juncker bei einem Sondergipfel 2012
"Es ist keine einvernehmliche Scheidung, aber es war ja auch kein Liebesverhältnis". Jedenfalls "werden die Briten die Entscheidung eines Tages bedauern - vor allem die Jungen." - Junker zum Brexit beim Sondergipfel 2016
"Ich habe nie Illusionen, weil ich sie nicht verlieren will." - Junker zum Brexit im Juni 2017
"Das ist ein trauriger Vorgang. Ich finde mich eigentlich nicht damit ab, dass die Briten aus der Europäischen Union austreten." - Juncker zu Brexit im März 2017
"Nein. Ich habe genug Brexit in meinem Leben gehabt."- Juncker im November 2019 auf die BBC-Frage, ob er nicht gerne noch im Amt bleiben wolle, um den Brexit bis zum Ende zu begleiten
"Niemand versteht England, aber jeder versteht Englisch." - Juncker im Mai 2019
GRIECHENLAND und die EUROKRISE
"Wenn es ernst wird, muss man lügen." - Juncker als luxemburgischer Premierminister 2011 über heikle Rettungsmaßnahmen in der Eurokrise
"Die Kuh muss vom Eis, aber sie rutscht dauernd aus. Wir versuchen sie heute wieder anzuschieben." - Juncker im Juni 2015 zu den schwierigen Verhandlungen mit Griechenland in der Schuldenkrise
"Er weiß, dass die Lage sich zuspitzt. Ich habe ihm das in allen Farben und in mehreren Sprachen nahegebracht." - Juncker im Juni 2015 über Griechenlands Ministerpräsidenten Alexis Tsipras










