Reizthema Israel und Palästina: Es gibt noch Menschen, die reden wollen
Eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern scheint nach den Terrorattacken vom 7. Oktober und dem israelischen Feldzug in Gaza so weit weg wie nie. Wir haben dennoch Menschen gefunden, die daran arbeiten. Und wollen sie gemeinsam auf eine Bühne bringen - am Montag im SN-Saal. Wozu unsere Leserinnen und Leser herzlich eingeladen sind.
BILD: SN/MIDJOURNEY/RESCH
Zuhören ist selten - aber der erste Schritt, um die Perspektive des anderen zu verstehen.
Vieles ist nicht mehr sagbar. Menschen, egal auf welche Seite sie sich geschlagen haben, wollen überzeugen - die, die noch zuhören, aber nicht überzeugt werden. Sie haben selbst Position bezogen, an der nicht zu rütteln ist. So sind die Fronten verhärtet, nicht nur im Nahen Osten, sondern in Gesprächen überall auf der Welt. In privatem Rahmen, wie auch bei der UNO-Vollversammlung in New York.
Israel schafft Fakten, macht den Palästinensern in Gaza das Leben zur Hölle und treibt den Siedlungsbau im Westjordanland massiv voran. Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich sagte: "Wenn ihr einen palästinensischen Staat einseitig anerkennt, werden wir nichts mehr zum Anerkennen übrig lassen."
Für die Familien jener 20 Geiseln, die noch immer im Gazastreifen gefangen gehalten werden, ist all das ein Albtraum. Ihre Lieben sind in den Händen der Hamas. Seit 720 Tagen. Die Hamas verweigert auch die Überstellung der sterblichen Überreste von 30 weiteren Verschleppten. Leid und Traumata türmen sich auf beiden Seiten.
Die Gleichzeitigkeit von beidem auszuhalten, gelingt in wenigen Gesprächen.
Wir wagen es trotzdem: Die SN veranstalten am Montag um 19 Uhr im SN-Saal gemeinsam mit dem Landestheater eine Podiumsdiskussion und bitten Menschen vor den Vorhang, um Zwischentöne aufzuspüren und einen Raum aufzumachen, in dem ehrlich und angstfrei gesprochen werden kann.
Podiumsdiskussion im SN-Saal: Sie sind eingeladen
Wer, wann, wo? Im SN-Saal, am Montag, dem 29. September, um 19 Uhr, 10 Euro Eintritt. Bitte um Anmeldung unter: www.sn.at/reservierung
Unsere Podiumsgäste und ihre ganz individuelle Sicht stellen wir Ihnen hier vor.
Ein Zionist mit Verständnis für die andere Seite
BILD: SN/VERTLIB
<Schriftwechsel14>Vladimir Vertlib ist jüdisch-russischer<br /> Abstammung und lebt in Salzburg und Wien. </Schriftwechsel14>
Ich bin das Feindbild vieler Menschen. Denn ich bin Zionist. Doch ist es mir in Zeiten wie diesen wichtig, Position zu beziehen. Ich bin Zionist, weil ich der Meinung bin, dass es einen jüdischen Staat im Nahen Osten geben soll, dass jüdisches Leben ohne die Existenz Israels überall auf der Welt noch gefährdeter wäre. Das hindert mich nicht daran, für eine Zweistaatenlösung, gegen die Idee eines Groß-Israel und für die Rechte von Palästinenserinnen und Palästinensern einzutreten und Empathie für alle Opfer des Nahostkonflikts zu entwickeln. Doch Menschen, die sich um eine differenzierte Mitteposition bemühen, machen sich in Zeiten wie diesen meist unbeliebt.
Für mich stellt sich, wie für alle Juden und Jüdinnen, die Frage, wie ich auf die derzeitige Situation und den immer gewalttätiger werdenden Antisemitismus reagieren soll. Manche verstummen und gehen in die innere Emigration. Andere entscheiden sich für den gegenteiligen Weg. "Je mehr sie uns angreifen, umso jüdischer werden wir", sagen sie. Einige verteidigen die israelische Politik um jeden Preis und werten die Kritik als antisemitisch. Dabei erfolgt die schärfste Kritik an Netanjahu und seinen rechtsradikalen Regierungspartnern von jüdischer Seite in Israel. Hunderttausende demonstrieren auf den Straßen Tel Avivs gegen die derzeitige Regierung und den Krieg im Gazastreifen. Es wäre allerdings eine Illusion zu glauben, dass die innerjüdische Kritik Antisemiten und Israelhasser besänftigen würde.
Ich habe mich dafür entschieden, das, was ich vor dem 7. Oktober 2023 und dem Gazakrieg schon getan habe, nämlich aufklärerisch zu wirken, dabei in erster Linie mit Jugendlichen zu diskutieren, Klischees und Vorurteile aufzubrechen und differenziert zu bleiben, noch intensiver zu tun. Dabei komme ich mir oftmals wie Sisyphos vor, denn es gelingt mir nur selten, jemanden zu überzeugen oder zum Nachdenken anzuregen. Zumindest lerne ich in diesen Gesprächen etwas dazu - das ist schon viel!
Eine ägyptische Professorin, die über den Tellerrand blickt
BILD: SN/STADTGÖREN
<Schriftwechsel14>Hanan Badr studierte Kommunikationswissenschaft in Kairo. Heute ist sie Professorin an der Universität Salzburg. </Schriftwechsel14>
Ich bin keine Betroffene. Also, ich bin keine Palästinenserin, aber ich bin Kommunikationswissenschafterin, die in Ägypten groß geworden ist und zum Thema geforscht hat. Das ist meine Sozialisation. In dem arabischen Narrativ wird mitgegeben, dass es Palästina vor dem Jahr 1948 gegeben hat, und dass es dieses nicht mehr gibt, weil die Palästinenser vertrieben worden sind. Diese Geschichte ist im deutschsprachigen Raum immer noch ein blinder Fleck, denn der deutschsprachige Diskurs ist von der Erinnerungskultur geprägt. Die großen Naziverbrechen an den Juden prägen die Staatsräson, die Außenpolitik, die Schulbildung, die geschichtliche Erzählung. Umgekehrt setzen sich Menschen in arabischen Ländern mehrheitlich nicht so intensiv mit der deutschen Geschichte oder mit der NS-Zeit auseinander. Die Berichterstattung über den Nahostkonflikt ist oft verkürzt und bleibt in brisanten Bildern hängen wie "Krisenherd" oder "Pulverfass Nahost". Wie soll man die Geschichte in zwei Minuten im Fernsehen erklären? Das sagen mir Auslandskorrespondenten vor Ort. Im Grunde ist es aber gar nicht so kompliziert: Es geht um einen territorialen Kampf, wo Menschen sich ein kleines Land teilen müssen. Erst heute wird Palästina von den europäischen Ländern anerkannt. Die Existenz eines Staates sollte nicht der Existenz eines anderen Staates schaden. Und: Hat Palästina ein Existenzrecht?
Der Schauspielchef, der ein heißes Eisen angreift
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Nuran David Calis ist Theater- und Filmautor sowie Schauspielchef am Salzburger Landestheater.
Das Landestheater bringt ab Oktober das Stück "Die Tore von Gaza" des israelischen Autors Amir Tibon auf die Bühne. Es interessiert mich, wenn es Schriftstellerinnen und Schriftstellern gelingt, etwas zu beschreiben in einer höchsten Not, die nicht blind macht für das, was auch dem Gegner an Ungerechtigkeiten passiert. Das in einem Theaterraum zu schaffen, das ist mein Antrieb. Es gab im Vorfeld schon Reaktionen auf das Stück, auch über Social Media, die eine Pauschalisierung des Konflikts zeigen. "Was ist mit dem Leid der Palästinenser?", wird gefragt. Das Entscheidende ist, dass Amir Tibon eigentlich die stärkste Fürstimme der palästinensischen Sache ist, obwohl er durch die totale Hölle mit seiner Familie gegangen ist. Das muss man vermitteln. Auch die Tatsache, dass alle drei Tage 500.000 Menschen in Israel protestieren, das geht medial sehr unter. Das Theater hat die Chance, vielleicht Verschüttgegangenes mit aller Kraft über einen künstlerischen Weg wieder sichtbar zu machen. Und das sehe ich in dieser Geschichte, dass ein Israeli, der sein Land liebt, trotzdem der größte Anwalt der palästinensischen Sache ist. Ich habe die Hoffnung, dass die Zuschauer ihre vorgefertigten Folien überprüfen, sie vielleicht korrigieren oder erweitern. Und dass daraus eine gemeinsame Solidarität und eine Allianz für diese beiden Völker entsteht. Das würde ich mir wünschen. Und dass der Theaterraum für palästinensische Stimmen genauso ein Safe Space ist wie für jüdische Stimmen. Sie müssen keine Befürchtung haben, dass Dinge gegen sie oder für sie sprechen. Es ist eine komplexe Erzählung. Da sollen sie sich ihre eigene Meinung darüber bilden, die sich dann vielleicht auch ein bisschen von den gängigen aktivistischen Meinungen links und rechts abhebt.
"Lasst uns dieses Land aufbauen!"
BILD: SN/SAYEGH
Nadine Sayegh wurde in Beirut geboren, wuchs in Wien auf und ist Unternehmerin und Autorin.
Ich bin in Wien aufgewachsen und in die französische Schule gegangen. Dort gab es viele jüdische Kinder, weil ihre Eltern sie nicht in österreichische Schulen geben wollten. Ich denke, sie waren einfach noch angewidert von alldem, was in Wien im Zweiten Weltkrieg passiert war. Ich bin in den 80ern in die Schule gegangen, das heißt, die Nachwehen des Kriegs waren noch relativ frisch für die Leute. Ich kann mich erinnern, dass es für mich in Wien keinen Raum gab zu sagen: Ich bin Palästinenserin. Ich hätte sagen können: Schau, 1948 bei der Staatsgründung Israels ist die Familie meines Vaters, die seit 300 Jahren in Palästina gelebt hat, im Bombenhagel zum Hafen von Jaffa geflüchtet, um sich zu retten. Aber das habe ich nicht. Lange habe ich als junge Frau, wenn man mich gefragt hat, woher ich komme, gesagt: Ich bin Libanesin. Theoretisch bin ich auch wirklich dort zur Welt gekommen. Aber meine Eltern sind keine Libanesen.
Wenn man "Libanon" sagt, dann denken viele an die ehemalige Schweiz des Orients, an Amal Clooney und Tabouleh-Salat, alles harmlos. Bei Palästina waren die Assoziationen aber immer PLO, Krieg, Zerstörung und Terrorismus. Niemand dachte an das palästinensische Volk, das unter Besatzung lebt.
Wenn mich jetzt jemand fragt, sage ich, dass ich Palästinenserin bin. Was neu ist, ist, dass ich jetzt Empathie sehe. Das gab es bisher nicht. Es gibt eine Empörung darüber, dass Israel tun kann, was es will, und es niemand stoppt. Diese Empathie hat aber auch ihren Preis. Es gibt in der Zwischenzeit vermutlich eine halbe Million palästinensische Tote. Die allermeisten davon Zivilisten. Das ist unerhört im 21.Jahrhundert. Wir brauchen einen Dialog. Schauen Sie sich an, in welcher Rue de la Gack wir gelandet sind. Ich organisiere Demonstrationen in Wien mit und ich kann sagen: Keiner von uns ist weltfremd und möchte den Staat Israel ausmerzen. Was wir wollen, ist Gerechtigkeit und eine Lösung für die fünf Millionen Palästinenser. Sollte ein Wunder passieren und Donald Trump sagt, dass er Palästina anerkennt: Wer aus den palästinensischen Gebieten würde dann fordern, dass Israel von der Landkarte verschwinden soll? Sie würden sagen: Lasst uns anfangen zu arbeiten. Lasst uns dieses Land aufbauen und in Würde leben wie andere Völker auch.
Demonstrieren gegen Netanjahus Politik
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Esther Dischereit ist Lyrikerin, Essayistin, Erzählerin jüdischer Abstammung. Ihre Mutter und ihre Schwester überlebten den Holocaust nur, weil sie von einem Deutschen versteckt wurden.
Ich halte mich im Augenblick nicht so sehr in den Milieus auf, die den Einsatz und das Vorgehen Israels einfach nur richtig finden. Die gibt es. Für die Soldaten wird in den Synagogen gebetet. Ich kann mich nicht anschließen, es tut mir leid, mache ich nicht. Ich habe mich schon Anfang November im Jahr 2023 geäußert. Da gibt es ein Foto von mir, auf dem ich ein Schild hochhalte, da steht drauf: "Not in my name."
Meine Loyalität zum Staat Israel wird als gegeben bezeichnet. Und das ist interessant, weil es im Grunde Teil eines florierenden Antisemitismus ist, der vor 2023 als sekundärer Antisemitismus bezeichnet wurde. Also, jemand trifft mich, erfährt, dass ich jüdisch bin, und fragt, wann ich wieder nach Hause fahre. Die Existenz jüdischen Lebens wird damit auf dieses nationale Konstrukt reduziert. Damit gibt es keine anderen Juden in Deutschland, Österreich, Frankreich und so weiter. Nach Oktober 2023 hat überhaupt niemand mehr infrage gestellt, dass man sich als Jude oder Jüdin selbstverständlich an die Seite Israels stellt. Ich schon. Anfang November habe ich an einer Demonstration teilgenommen, die wesentlich von jüdischen Menschen organisiert war - gegen das Vorgehen Netanjahus. Dann gab es Strafanzeigen, einer Freundin wurden ihre Ausstellungen storniert. Dinge, die vorher unter Meinungsfreiheit fielen, sind plötzlich strafbewehrt. Zum Beispiel, wenn aus Demonstrationen Leute herausgenommen werden durch die Polizei, weil sie ein Schild tragen, auf dem "Genozid" draufsteht, dann ist selbstverständlich eine ganze Reihe von Dingen nicht mehr sagbar.
Es geht gar nicht so sehr um den Glauben - sondern fast nur um Macht
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Tarik Mete hat türkische Wurzeln und wurde in Hallein geboren. Er ist SPÖ-Politiker und engagiert sich gegen Rassismus.
Natürlich ist man als jemand, der muslimischen Glaubens ist, zunächst noch mehr betroffen. Weil es bei diesem Konflikt ja vermeintlich um den Glauben geht. Über die Jahre hinweg ist mir aber klar geworden, dass es überhaupt nicht um den Glauben geht. Es geht um Land, um einen Konflikt zwischen einem Staat und einer Bevölkerungsgruppe, die faktisch staatenlos ist und ihre Heimat in einem Gefängnis hat. Es geht um Macht und um den Machterhalt von Politikern. Und das ist, was ein österreichischer Politiker auch kritisieren kann, ohne dass er antisemitisch ist, auch angesichts unseres historischen Kontextes.
Normalerweise ist die einfachste Art zu helfen: Spenden. Aber nicht einmal das kann ich machen, weil ich weiß, dass die Hilfsgüter aktuell nicht ankommen, weil sie blockiert werden. Diese Situation kenne ich nicht, dass humanitäre Hilfe versagt wird. Das Einzige, was ich tun kann, ist, meine Reichweite in den sozialen Medien zu nutzen und das Bewusstsein für eine Zweistaatenlösung zu stärken. Die Hamas kommt dabei nicht vor. Ich habe noch nie jemanden in Salzburg sagen hören, dass das, was die Hamas am 7. Oktober angerichtet hat, super war. Das ist eine Terrororganisation, die zu verurteilen ist. Was da passiert ist, ist in keinster Weise rechtfertigbar. Punkt.