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Was der Trump-Eklat für die Ukraine - und Europa - bedeutet

Die Folgen des beispiellosen Streits zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus sind unabsehbar.

Das Treffen im Weißen Haus nahm einen katastrophalen Ausgang.
Das Treffen im Weißen Haus nahm einen katastrophalen Ausgang.

Stunden nach dem Eklat und dem daraufhin abgebrochenen Treffen gingen weder Trump noch Selenskyj einen Schritt auf den jeweils anderen zu. Während Russland frohlockt, stellen sich die Europäer hinter Selenskyj. Nun steht der Bruch zwischen dem von Russland angegriffenen Land und seinem stärksten Verbündeten im Raum.

Was lässt der Streit für die Lage der Ukraine erwarten?

In der Ukraine herrschte Entsetzen. "Wer freut sich am meisten darüber, was heute passiert ist? Ich denke, das ist (der russische Präsident Wladimir) Putin", schrieb der oppositionelle Parlamentsabgeordnete, Olexij Hontscharenko, bei Telegram mit Blick auf den russischen Präsidenten. Von der Sache her habe der Hauptverbündete live im Fernsehen alle Verbindungen abgebrochen.

Für die Ukraine könnte der Bruch fatale Folgen haben. Schätzungen gingen bisher davon aus, dass das Land mit den von Trumps Vorgänger Joe Biden eingeleiteten Waffenlieferungen noch ein halbes Jahr in der gleichen Intensität weiterkämpfen könne. Eine Reduzierung des Nachschubs aus den USA in vielen Bereichen wie Artilleriemunition oder Ersatzteilen für US-amerikanische Waffensysteme würde die Möglichkeiten der ukrainischen Armee einschränken.

Besonders bei den Raketen für die Flugabwehrsysteme des Typs Patriot sind die US-Lieferungen nicht zu ersetzen. In der Flugabwehr könnten so schnell Schwachstellen entstehen, die das russische Militär mit ballistischen Raketen und Marschflugkörpern ausnutzen kann. Es gäbe kaum Schutz für das angeschlagene Energiesystem oder wichtige Rüstungsfabriken.

Auch bei den Staatsfinanzen würde ein nachlassender Geldstrom aus den USA eine Lücke reißen, die andere Verbündete nur schwer schließen können. In den drei Jahren Krieg flossen aus den USA umgerechnet über 30 Milliarden Euro direkt zur Unterstützung des ukrainischen Staatshaushaltes. Kiew müsste so stärker die Geldpresse anwerfen und eine noch größere Inflation riskieren, die den Unmut im Lande schnell erhöhen würde.

Nicht zuletzt könnte auch die Position Selenskyjs ins Wanken kommen. Zuletzt hatte sich die Kritik an seinem Verhandlungsstil erhöht; der Wegfall des Hauptverbündeten könnte ihm persönlich angelastet werden. Und wenn Trump nicht mehr mit Selenskyj reden will - mit Putin will er reden. Es wächst das Risiko, dass die Atommächte sich zulasten der Ukraine einigen.

Was ist bei dem Treffen von Trump und Selenskyj passiert?

Die Begegnung im Oval Office schien freundlich zu beginnen. Trump lobte die Tapferkeit der ukrainischen Soldaten in drei Jahren Krieg. Die Unstimmigkeiten fingen an, als der US-Präsident erklärte, ihm gehe es um einen Deal, nicht um Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Selenskyj widersprach, dass ein Ende der Kämpfe nicht ohne Garantien möglich sei. Der Ukrainer gab Trump - vor laufenden Kameras - eine Art Geschichtslektion - die Amerikaner gerieten in Rage.

Trump überzog Selenskyj mit Vorwürfen. "Sie setzen das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel. Sie riskieren einen Dritten Weltkrieg", sagte er zu dem Ukrainer. "Ihr Land steckt in großen Schwierigkeiten. Ich weiß, dass Sie nicht gewinnen werden. Sie werden das hier nicht gewinnen."

Selenskyj verschränkte die Arme, widersprach, versuchte zu erläutern, warum Kremlchef Wladimir Putin nicht zu trauen sei. Flankiert wurde Trump von US-Vizepräsident J.D. Vance, der Selenskyj fehlenden Respekt vorhielt. Am Ende stand ein Abbruch der Gespräche und womöglich ein Ende der US-Unterstützung für die Ukraine.

Wie verhielten sich Trump und Selenskyj nach dem Zerwürfnis?

Der US-Präsident machte nach dem Eklat deutlich, dass er nicht für eine sofortige Wiederaufnahme von Gesprächen zur Verfügung stehe. Trump sagte bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Eklat im Oval Office mit Blick auf Selenskyj: "Er möchte sofort zurückkommen. Aber das geht für mich nicht." Gleichzeitig machte Selenskyj klar, dass er sich nicht bei Trump entschuldigen wolle. Auf eine entsprechende Frage in einem bereits vorher vereinbarten Interview von Trumps Haus- und Hofsender Fox News antwortete Selenskyj: "Nein. Ich respektiere den Präsidenten, und ich respektiere das amerikanische Volk."

Wie ist die Reaktion in Moskau?

Russland spielt der Eklat von Washington in die Hände. Putin will mit Trump wieder ins Gespräch kommen. Aber bei der Ukraine bleibt er hart: Russland beansprucht einen Teil der Ukraine für sich, der Rest soll sich politisch dem Willen Moskaus beugen.

Der Vizechef des nationalen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, lobte Trump für seine Standpauke. Das sei eine "eiskalte Klatsche" für Selenskyj gewesen. "Das undankbare Schwein bekam eine kräftige Ohrfeige von den Besitzern des Schweinestalls. Das ist nützlich", schrieb der frühere Kremlchef bei Telegram. Genug sei das aber nicht. Die Militärhilfe für die Ukraine müsse enden.

Was sagen die Europäer?

Reaktionen aus Europa folgten prompt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf der Plattform X an Selenskyj: "Ihre Würde ehrt den Mut des ukrainischen Volkes. Sei stark, sei mutig, sei furchtlos. Sie sind nie allein, lieber Präsident." Polens Ministerpräsident Donald Tusk schrieb: "Liebe ukrainische Freunde, ihr seid nicht allein." Auch Spanien, Schweden und Norwegen bekundeten Kiew ihre standfeste Solidarität.

Doch die Sorge wächst, dass Trump und Putin über die Zukunft der Ukraine verhandeln könnten, ohne dass Europa oder Kiew ein Mitspracherecht haben. Europa steht vor der Aufgabe, die Unterstützung für die Ukraine zügig auszubauen, um das Land in eine bestmögliche Verhandlungsposition zu bringen.

An diesem Wochenende wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel in Großbritannien beraten. Nach dem beispiellosen Eklat im Weißen Haus zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und US-Präsident Donald Trump positioniert sich der britische Premier Keir Starmer als Brückenbauer. Starmer habe sowohl mit Selenskyj als auch mit Trump telefoniert, teilte der Regierungssitz Downing Street mit, nachdem der ukrainische Präsident das Weiße Haus vorzeitig verlassen hatte. "Er behält seine unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine bei und tut alles, was er kann, um einen Weg zu einem dauerhaften Frieden auf Grundlage von Souveränität und Sicherheit für die Ukraine zu finden", sagte ein Downing-Street-Sprecher.

Wie positioniert sich der britische Premier?

Anders als viele andere europäische Politiker hatte Starmer seine Unterstützung für Selenskyj nicht direkt im Anschluss per Social Media bekundet. Britische Medien interpretierten das als den Versuch, zwischen den USA und der Ukraine zu vermitteln. Der britische Regierungschef hatte bei einem Besuch in Washington in dieser Woche demonstrativ auf Harmonie mit dem US-Präsidenten gesetzt.

Bei dem Gipfel am Sonntag in London werden neben Selenskyj unter anderen der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, weitere Staats- und Regierungschefs sowie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa erwartet.

Auch am 6. März geht es bei einem EU-Sondergipfel in Brüssel um die aktuelle Lage und weitere Hilfen für die Ukraine. Eine Einigung könnte jedoch schwierig werden, denn weitreichende Beschlüsse erfordern in der EU Einstimmigkeit. Mit Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban sitzt allerdings ein Staatschef mit am Tisch, der sich eng an Trumps Linie anlehnt. Er hat bereits mehrfach EU-Hilfen für die Ukraine blockiert.