Weil sie als neunjähriges Kind in der Schule wegen ihrer damals schief stehenden Zähne gemobbt wurde, beschloss Shiva Shayestehpour, selbst einmal Zahnärztin zu werden und anderen zu einem schönen Lächeln zu verhelfen.
Jetzt - 25 Jahre später - richtet Shiva Shayestehpour im Business Center Hagenau 2 ihre eigene Zahnarztpraxis ein. Um so weit zu kommen, hat sie viele Hürden überwinden müssen. Denn die gebürtige Iranerin wollte nicht nur Zahnärztin werden, sondern auch ein selbstbestimmtes Leben führen - ohne abgewertet zu werden, nur weil sie eine Frau ist. Aufgewachsen ist sie in Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Iran. "Im Iran richtet sich alles gegen Frauen", sagt sie. Zum Beispiel würden dort Lebensversicherungen im Todesfall einer Frau nur halb so viel zahlen wie bei einem Mann. Und nur halb so viel wert sein wollte sie nicht.
In die Sprache Deutsch im Fernsehen verliebt
Zudem musste sie sich den strengen Regeln des Mullah-Regimes beugen. "In der Schule wurden die Fingernägel täglich kontrolliert - ob sie eh nicht lackiert waren. Und die Augenbrauen - ob sie eh nicht gezupft oder gestylt waren." Das alles war genauso verboten wie Musik, singende Frauen und ausländisches Satelliten-TV. Letzteres hatten ihre Eltern aber zu Hause - illegalerweise und sehr zur Freude der jungen Shiva. Sie liebte es, sich Sendungen im ZDF und deutschen Privatsendern anzuschauen. "Damals habe ich mich in die Sprache Deutsch verliebt und mir fix vorgenommen, einmal in Bayern zu leben", schildert sie.
Dass die iranischen Strafbehörden, die mittels Helikoptern nach verbotenen Satellitenantennen auf den Wohnhäusern Ausschau hielten, auch die Anlage ihrer Eltern entdeckten und entfernten, konnte ihrem Traum nichts anhaben. Das erledigten später die deutschen Behörden, als die junge Iranerin, die in ihrer Heimat ein Chemiestudium begonnen hatte, trotz drei Zusagen deutscher Universitäten für das Fach Zahnmedizin kein Studentenvisum für Deutschland erhielt.
Nur Studienplatz für Chemie erhalten
Das Studium der Zahnmedizin hatte sie auch im Iran angestrebt, hatte aber nur einen Platz für Chemie erhalten. Der scheinbare Gesinnungswandel beim Studienfach sei für die deutschen Behörden Grund genug gewesen, ihr das Visum zu verweigern. "Sie haben gemeint, ich will gar nicht wirklich studieren, sondern einfach nur nach Deutschland gelangen." Shiva Shayestehpour suchte sich ein anderes Land, in dem sie studieren und Zahnmedizinerin werden konnte - das waren die Philippinen. Dort lernte sie ihren aus Indien stammenden Ehemann Karan Sharma (39) kennen, der ebenfalls dort studierte und Kieferorthopäde wurde. Den Traum vom Leben in einem deutschsprachigen Land hatte Shiva Shayestehpour aber nicht aufgegeben - und sie zog es nicht nur durch, sondern zog auch ihren Mann mit. Seit Oktober 2020 sind beide in der Ärzteliste der Zahnärztekammer eingetragen - die neue Praxis werden sie gemeinsam führen.
"Dass wir das schaffen, hätte ich nie geglaubt"
"Ich bin nur wegen Shiva hier", sagt Karan Sharma und ergänzt: "Dass wir das schaffen, hätte ich nie geglaubt. Aber Shiva hat Gas gegeben." Für die Nostrifikation an der Universität Wien musste sie alle Prüfungen erneut ablegen - auf Deutsch. Dafür benötigte sie drei Semester, in denen sie täglich bis zu 16 Stunden gelernt hat. Das Deutschniveau B1 hatte sie am Goethe-Institut im Iran erworben, die Prüfung für das C1-Niveau absolvierte sie in Wien.
Ihr Mann, der ein Jahr nach ihr kam, musste - weil er noch kein Deutsch konnte - die Skripten auf Englisch übersetzen, den Inhalt verstehen und dann auf Deutsch lernen. "Ohne Shiva hätte ich das nicht geschafft", erklärt er. Und seine Frau ergänzt: Anspruchsvolle Aufgaben könnten sie nicht aufhalten, ganz im Gegenteil: "Ich liebe Prüfungen. Wenn man sie geschafft hat, ist das ein befriedigendes Gefühl."
Vorstellungsgespräch an einem Rupertikirtag
Als sie ausgerechnet an einem Rupertikirtag für ein Vorstellungsgespräch nach Salzburg kam, war es um sie geschehen: "Hier wollte ich bleiben." Die vielen Menschen in der Altstadt, die gute Laune, das Kaiserwetter hatten sie angesteckt.
Dreieinhalb Jahre hat sie hier in einer Privatklinik gearbeitet, ein halbes Jahr im Ambulatorium der ÖGK. Nun folgt der Schritt in die Selbstständigkeit. Die Frage, ob sie als Iranerin in Europa Asyl erhalten hätte, stellt sie sich nicht. Denn: "Ich wollte nicht als Flüchtling kommen, sondern als Zahnmedizinerin", sagt sie. Und: Mittlerweile ist sie stolze Österreicherin. "Für mich ist Österreich nicht nur ein Land, sondern meine Heimat und ein Land der Möglichkeiten", betont sie.
