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Nach immenser Gerölllawine in Rauris: "Solche Vorfälle sind leider das neue Normal"

Der Vorfall im Rauriser Tal hat einen "Vorgeschmack" geliefert. Geologen warnen jetzt vor einer Zunahme solcher Ereignisse. Außerdem im Gespräch mit den Pinzgauer Nachrichten: Elke Ludewig, Leiterin des Observatoriums auf dem Sonnblick.

Im Rauriser Talschluss oberhalb von Kolm-Saigurn brach am 28. August das Pilatuskar, eine Gerölllawine ergoss sich ins Tal.
Im Rauriser Talschluss oberhalb von Kolm-Saigurn brach am 28. August das Pilatuskar, eine Gerölllawine ergoss sich ins Tal.
Elke Ludewig, Leiterin des Observatoriums auf dem Sonnblick: „Im Hochgebirge können wir mit Wasser nicht gut umgehen. Wir brauchen den Schnee.“
Elke Ludewig, Leiterin des Observatoriums auf dem Sonnblick: „Im Hochgebirge können wir mit Wasser nicht gut umgehen. Wir brauchen den Schnee.“

Auf 3106 Metern bekommt Elke Ludewig die klimatischen Veränderungen zu spüren. "Die Temperaturzunahme ist extrem. Im Sommer kommt es kaum noch vor, dass es schneit. Und auf lange Trockenphasen folgen mitunter plötzliche starke Niederschlagsereignisse. Wir haben in Rauris gesehen, wie das ausgehen kann", sagt die Leiterin des Sonnblick-Observatoriums. Die PN trafen sie vorige Woche am Rande der Diskussionsveranstaltung "Sonnblickverein trifft Klimarat" im örtlichen Mesnerhaus.

Ein "Stöpsel" ist gezogen

Selbst erfahrene Expert/-innen staunen über die Verwüstungen, die der Starkregen und das Unwetter am 28. August im Rauriser Tal hinterlassen haben. Gerald Valentin vom Landesgeologischen Dienst sagt: "Das ist sicher etwas, was man nicht alle Tage sieht. Der Ursprung des Übels war das sogenannte Pilatuskar am Fuße des Sonnblicks, das praktisch komplett eingebrochen ist und eine tiefe Rinne hinterlassen hat. Mehrere Hunderttausend Kubikmeter Geröll und Gestein haben sich sozusagen weiter unten ergossen." Das führe er neben den extremen Niederschlagsmengen auch auf unter dem Schutt abschmelzende Reste des Pilatuskees und auftauenden Permafrost zurück. "Jetzt ist es, als ob man einen Stöpsel gezogen hätte, da ist noch mehr als eine weitere Million Kubikmeter in Bewegung."

Steht das Observatorium auf stabilen Beinen?

Der Vorfall sei ein "Warnsignal", bekräftigt auch Elke Ludewig. "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass solche Ereignisse in Zukunft regelmäßig passieren. Man muss leider sagen: Das ist das neue Normal." Damit das Observatorium selbst nicht in Bewegung gerät, wird Jahr für Jahr intensiv beobachtet. "Wir haben aufgetauten Permafrost, bis zu zwei Meter tief in den Fels hinein existiert er eigentlich nicht. Dadurch wird der Fels poröser, es kommt mehr in Bewegung, weil der natürliche Eiskitt fehlt. Von 2001 bis 2011 wurden Maßnahmen gesetzt, indem Stahlanker in den Gipfel eingebracht wurden. Und man hat die Oberfläche unter den Messterrassen zubetoniert, damit kein Wasser eindringen kann." Im Moment reichten diese Eingriffe noch zur Stabilisation aus - "aber es klettert jedes Jahr ein Geologe in der Nordwand herum und definiert: Wie gut sind die Anker, gibt es Probleme? Müssen wir neue Maßnahmen setzen?" Zusätzlich würden Drohnen eingesetzt, "um den ganzen Berg einzufangen und zu sehen: Wo sind Felsen rausgebrochen? Gibt es Gebiete, die sich verändert haben?"

Felsstürze sind schwer zu prognostizieren

Was es bei Felsstürzen nicht gebe, sei ein Vorhersageprinzip. "Das ist leider nach wie vor ein Lotteriespiel. Wir wissen, es besteht die Gefahr, können aber nicht sagen, wann etwas passiert", so Ludewig, die heuer schon einen Rekordwert beim Sonnblick-Observatorium vermerkte. Noch nie zuvor war es dort an einem Tag so warm gewesen wie am 11. Juli 2023. Die Temperaturmessung ergab 15,7 Grad, ein neuer Höchstwert seit Messbeginn im Jahr 1886.

Und der September begann ebenfalls rekordverdächtig: "In den ersten zwei Wochen des Monats hatten wird niemals unter null Grad - das ist schon unglaublich für das Hochgebirge." Beinahe mit bloßem Auge könne man den Gletschern beim Schrumpfen zusehen: "Das Tempo ist schon erschreckend."

Man müsse lernen, mit enormen Geschiebemengen umzugehen, ergänzt Ludwig Fegerl, für den Pinzgau zuständiger Geologe seitens des Landes, im PN-Gespräch. Nicht nur in Rauris, sondern insgesamt in den Tauerntälern gebe es häufig die gefährliche Situation, "dass alte Gletschersedimente, die mit großer Mächtigkeit in Karen abgelagert wurden, jetzt eisfrei werden und keine Bindung mehr haben. Das birgt erhebliche naturräumliche Gefahren - und wir müssen uns künftig sehr gut überlegen, wie wir damit umgehen."

"Verbliebenes Lockermaterial ist extrem labil"

Die Erhebungen in Rauris hätten übrigens eine immense Erosionsmenge von rund 800.000 Kubikmetern ergeben, "wovon sich 560.000 im Schwemmkegel auf rund 24 Hektar abgelagert haben", schildert Fegerl. Dessen Kollege Gerald Valentin stellte bei seinem Lokalaugenschein fest: "Man sieht, dass das im Kar verbliebene Lockermaterial extrem labil ist und leicht mobilisiert werden kann. Aufgrund der hohen Dynamik dieser Prozesse werden wir den von der Mure betroffenen Talbereich für die Zukunft wohl der Natur überlassen müssen."

Aus den umfassenden Analysen des "Forschungsgebiets" in Rauris würde man sich auch neue Erkenntnisse erhoffen, so Valentin - "um für die Zukunft noch besser gewappnet zu sein".

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