Der Philosoph Günther Witzany lebt in Bürmoos und forscht seit 1987 auf dem Gebiet der Biokommunikation, ein Schwerpunkt sind dabei Viren.
Redaktion: Wie kommt ein Philosoph dazu, sich mit Viren zu befassen? Günther Witzany: Ursprünglich habe ich mich mit Sprach- und Kommunikationsphilosophie beschäftigt und darin auch promoviert. Später habe ich bemerkt, dass auch in der Biologie immer wieder Begriffe wie Zellkommunikation und genetischer Code verwendet werden, aber physikalisch-chemisch erklärt werden. Kommunikation kann man aber nicht physikalisch-chemisch erklären. Für mich war die Annahme der Molekularbiologie unbefriedigend, der genetische Code bestehe aus einer zufälligen Anordnung. Hier bietet die Biokommunikation einen anderen Ansatz. Meiner Meinung nach braucht es "Agenten", die den Code herstellen, denn jede Sprache braucht kompetente Sprachanwender, die aus den unendlichen Variationsmöglichkeiten auch etwas ganz Neues schaffen können.
Das heißt, für Sie laufen biologische Vorgänge nach einem sprachlichen Muster ab. Wo ist dabei der Platz der Viren?2005 habe ich das Buch "Viren und die Evolution des Lebens" des amerikanischen Wissenschafters Luis Villarreal gelesen, was mir eine ganz neue Welt eröffnet hat. Ich habe nicht gewusst, dass die Erde ein Planet der Viren ist. Sie sind überall, auch in jedem Lebewesen. In einem Tropfen Meerwasser finden sich zehn Millionen Viren. Viren können sich aber nicht selbst vermehren und infizieren deshalb andere Lebewesen. Sie haben wesentlich zur Evolution und zur Entstehung der Arten beigetragen. Viren sind sehr produktiv und bauen sich in unsere Gene ein, sie sind entscheidend beim Aufbau unseres Immunsystems. Viren sagen, wo es langgeht.
Wie meinen Sie das?Für mich ist es nicht vorstellbar, dass die Evolution des Lebens auf zufälliger Mutation, also auf fehlerhafter Vervielfältigung, beruht, bei der irgendwann etwas Positives herauskommt. Meiner Meinung nach sind die Viren die Treiber der evolutionären Prozesse, sie infizieren dauernd und machen Druck auf das Leben. Sie sind Selektionspolizisten. Generell funktioniert Leben nur durch Kommunikation der Zellen. Bei Störung dieser Kommunikation kommt es zu Krankheiten. Insgesamt will sich das Leben aber erhalten, es kommt zu Symbiosen, Kooperationen, aber auch zu Wettbewerb, Fressen und Gefressen-Werden. Heute weiß man, dass mindestens 50 Prozent des menschlichen Erbgutes von Viren abstammt, bei Pflanzen können es bis zu 90 Prozent sein.
Viren werden meistens mit Negativem, mit Krankheit und Tod in Verbindung gebracht...Ein Virus kann Fürchterliches anrichten und eine ganze Population vernichten. Meistens überleben aber zumindest einige wenige Individuen, die sich als immun erweisen. Die Seuchen auslösenden Viren sind aber eine ganz kleine Minderheit. Die meisten Viren bauen sich friedlich in einen Organismus ein. Viren sind Freunde und Feinde zugleich.
Wie schätzen Sie die Covid-19-Pandemie ein?Corona ist eine gefährliche Seuche, der man Einhalt gebieten muss. Deshalb bin ich für eine Impfpflicht, denn so eine Frage kann man in einer außergewöhnlichen Situation nicht per Volksabstimmung entscheiden. Keiner kann eine Durchseuchung der Bevölkerung mit den entsprechenden Folgen an Toten und schweren Krankheitsverläufen wollen. Ich lasse mich auch jährlich gegen Grippe impfen und bin auch froh, dass ich gegen Kinderlähmung geimpft wurde. Die Menschen wollen grenzenlose Freiheit auf einem begrenzten Planeten, das kann nicht funktionieren. Dem Virus muss man Grenzen
setzen. Ich hätte mir von der Bundesregierung gewünscht, dass sie die Menschen optimal schützt und das nötige Geld in die Hand nimmt, um schnell die nötigen Impfstoffmengen zur Verfügung zu haben. 70 Prozent der Bevölkerung müssen immun sein, um das Virus im Griff zu haben. Covid-19 wird uns sicher noch länger beschäftigen.
Sehen Sie in Viren die größte Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung?Wenn man die Globalisierung will, muss man immer mit der Verbreitung von Seuchen rechnen. Schon die Pest kam über die Seidenstraße nach Europa. Meiner Meinung nach wird die größte Gesundheitskrise der nächsten Jahrzehnte von multiresistenten Keimen, also Bakterien, ausgehen, die sich nicht mehr mit Antibiotika behandeln lassen. In deren Bekämpfung könnten Viren zu wertvollen Helfern werden. Viren, die nur Bakterien töten, sogenannte Phagen, wurden schon in den 1930er Jahren in Georgien und später in Russland kultiviert und bei der Behandlung bakterieller Erkrankungen erfolgreich eingesetzt. Diese Phagentherapie ist nach dem Siegeszug der Antibiotika fast in Vergessenheit geraten, wird aber jetzt wieder aktuell.
Was streben Sie mit Ihrer Forschungsarbeit an?Es geht mir nicht um Anerkennung, sondern um das Betrachten und das Verstehen der Natur. Ich sehe bei jedem Lebewesen, was für ein großes Wunder es ist. Aber das Leben ist kein Kindergeburtstag, sondern eine harte Sache und wir sind ein Teil davon. Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, denn sadistische Monster wie sie unter den Menschen vorkommen, gibt es sonst in der Natur nicht. Aber auch wenn man sieht, wie wir mit unserem Planeten umgehen, ist dieser Hochmut nicht angebracht. Wir
müssten wieder lernen, uns in die Natur einzubetten, diesen Garten Eden zu hegen und zu pflegen und nicht auszubeuten. Dann hat die Menschheit noch eine Chance, zu überleben.
Hat Ihre Arbeit praktische Relevanz, findet sie Anklang in der Wissenschaft?Da das ein völlig neuer Ansatz ist, auf Kommunikation im Reich des Lebens zu blicken, ist es erstaunlich, dass bei den zehn Büchern, die ich in den letzten zehn Jahren bei Springer herausgegeben habe, insgesamt über 400 Experten mitgemacht haben. Zu den drei Kongressen, die ich seit 2008 veranstaltet habe, sind die führenden RNA-Biologen und Virologen gekommen. Dass Kommunikation das wesentliche Merkmal von Leben ist, wird immer mehr anerkannt und meine Fachbeiträge wurden auch über 1300 Mal zitiert. Eine praktische Relevanz hat diese Grundlagenforschung zunächst nicht. Mein Bemühen entspricht aber dem stark gestiegenen Bedürfnis nach einem neuen Verständnis der belebten Natur.
Zur Person - Günther Witzany:
Am 25. August 1953 wurde Günther Witzany in Salzburg geboren. Er besuchte Schulen in Salzburg und Radstadt und studierte danach Philosophie in Salzburg und München.
1985 gründete Witzany die 1. Philosophische Praxis in Österreich. Seit 1987 forscht er im Bereich Biokommunikation. Dabei geht es um die Kommunikation in und zwischen Zellen, Geweben, Organen und Organismen und bei RNA-Netzwerken und Viren. Er entwickelte eine eigenständige Theorie der kommunikativen Natur. Angeregt wurde er von Erich Fromms Begriff der Biophilie. Die Liebe zum Leben und zur belebten Natur. Ziel ist die Begründung der Biologie als Sozialwissenschaft. Günther Witzany veröffentlichte zahlreiche Fachartikel und Fachbücher. Homepage: www.biocommunication.at
Seit 2001 ist Witzany zusammen mit Ewald Hiebl Herausgeber der gesammelten Werke von Leopold Kohr. Weiterhin ist er Mitglied in der RNA Society, im Editorial Board der Internationalen Biosemiotik-Gesellschaft (2008-2015), beim World Journal of Biological Chemistry, der New York Academy of Sciences (seit 2009), im Internationalen Städteforum Graz (seit 1999) und dem Netzwerk The Third Way of Evolution.