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Reportage Hotspot Salzburger Hauptbahnhof: "Wenn man mit den Leuten spricht, merkt man, dass sie ganz normale Menschen sind"

Den Hauptbahnhof nehmen manche als gefährliches Pflaster wahr. Andere trinken dort regelmäßig ihren Kaffee. Eine Reportage von einem Hotspot in Salzburg-Stadt.

Die Streetworker der Caritas sind mehrmals in der Woche am Bahnhof unterwegs. Im Bild: Matthias Burgard (l.) und Conor Grössenberger mit Einrichtungsleiterin Julie Arnold. Mit dabei haben sie meistens Kaffee, um mit den Klienten ins Gespräch zu kommen. 
Die Streetworker der Caritas sind mehrmals in der Woche am Bahnhof unterwegs. Im Bild: Matthias Burgard (l.) und Conor Grössenberger mit Einrichtungsleiterin Julie Arnold. Mit dabei haben sie meistens Kaffee, um mit den Klienten ins Gespräch zu kommen. 

Die Nacht ist gerade angebrochen, als Stimmen von Männern lauter werden. Sie haben sich auf dem Bahnhofsvorplatz um einen der hellgrauen Betonblöcke versammelt. Wie auf einem Tisch stehen darauf Bierdosen aneinandergereiht. Auf der Stange daneben hängt eine blaue Jacke mit weißen Ärmeln. Der fleckige Boden ist mit Zigarettenstummeln übersät. Während ihre Stimmen mal mehr, mal weniger zu hören sind, lassen sich die Taxifahrer daneben von den Diskussionen nicht stören.

Am Südtiroler Platz herrscht Alkoholverbot

Etwas später hat sich der Pegel normalisiert, die blaue Jacke hat einer der Männer angezogen. Trotz warmer Jahreszeit ist es in dieser Nacht kalt. Dennoch bilden sich immer wieder Gruppen auf dem Platz - und lösen sich wieder auf.

Viele von ihnen verbindet etwas: Bierflaschen, die sie in ihren Händen halten. Das Schild mit der Aufschrift "Am gesamten Südtiroler Platz Alkohol trinken verboten" hängt dabei nicht weit weg. Vielleicht etwas zu hoch. Es ist an einem Lichtmast angebracht.

Das Schild hängt an einem Lichtmast.
Das Schild hängt an einem Lichtmast.

Ein paar Meter weiter steigen Menschen in den Bus. Viele lassen sich vom Treiben auf dem Platz nicht beirren. Manche schauen weg. Andere sind mit sich selbst beschäftigt, als plötzlich das Geräusch von zerbrochenem Glas den halben Platz übertönt. Der Krach gleicht einer Flasche, die mit Wucht auf dem Boden aufkommt.

Danach geht es schnell. Männer kommen in großen Schritten aufeinander zu. Sie schreien sich an. Diskutieren. So schnell sie gekommen sind, löst sich die Gruppe wieder auf. "Katastrophe", flüstert ein Passant, der das Geschehen beobachtet.

ÖBB setzt Security ein

Am nächsten Morgen lässt der Platz nicht erraten, was in der Nacht zuvor passiert ist. Der Betonklotz neben dem Taxistand ist leer. Nur mehr braune Flecken, die zerbrochene Plastikgabel und eine Dosenlasche sind übrig geblieben.

Der Anteil an Männern und Frauen wirkt wieder ausgeglichen, laute Gruppen gibt es kaum mehr. Reisende schieben ihre Koffer vor sich her, während Pendler die Mitte des Platzes in Richtung Bahnhof überqueren.

Im Bahnhof betreibt Johann Auer unweit vom Eingang seine Trafik. Seit 30 Jahren ist er schon dort. Die Trafik führt er in vierter Generation. "Ich mag unseren Bahnhof. Da ist alles schön, aber die Situation auf dem Bahnhofsvorplatz ist bedenklich", sagt Auer. Was die Sicherheit angehe, werde viel gemacht. Auch Zivilpolizei sei unterwegs. "Was es noch brauchen würde, ist eine permanente Security."

Geht es nach den ÖBB, so ist das bereits der Fall: "Am Salzburger Hauptbahnhof sind generell 24 Stunden am Tag Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Sicherheit im Dienst. Innerhalb des Bahnhofes haben sie das Hausrecht, auf das sie sich berufen und Menschen aus dem Gebäude verweisen können", heißt es auf Anfrage. Die Aufenthaltsqualität wolle man steigern. Seit einigen Wochen habe man den Sicherheitsdienst verstärkt, was einen Rückgang von Bettelnden in der Halle bewirkt habe.

Café erzählt von Problemen mit bettelnden Kindern

Mit bettelnden Personen ist Sonja Hinterberger vom Café Johann regelmäßig konfrontiert. Die Abteilungsleiterin arbeitet seit zwölf Jahren in dem Lokal, das unweit der Trafik am Vorplatz liegt. "Oft gehen auch Kinder an die Tische und fragen nach Geld. Wenn wir etwas sagen, treten sie uns gegen das Schienbein."

Was die Sicherheit betrifft, seien ÖBB, Sozialarbeiter und Polizei bemüht. Mit Wohnungslosen gebe es keine Probleme. Alkohol sei ein Thema am Bahnhof, beeinflusse aber das Café nicht, erzählt Hinterberger.

Ein Alkoholverbot existiert für den Salzburger Hauptbahnhof seit 2018. Das fällt in den Verantwortungsbereich des Ordnungsamtes, lässt die Landespolizei auf Anfrage wissen. Grundsätzlich sei die Exekutive permanent und auch in zivil unterwegs. Zahlen zu dortigen Gewalt- und Drogendelikten gibt es keine.

Das Aufkommen von Drogen sei jedoch auf dem Südtiroler Platz nicht höher als auf anderen Plätzen, die gleich stark frequentiert sind. Verbotenes Verhalten von bettelnden Personen bringe man zur Anzeige und die eigenen Aufgaben nehme man ernst, "jedoch ist nicht alles, was an öffentlichen Orten unangenehm auffällt oder moralisch verwerflich ist, auch strafbar", lautet der Tenor.

Bürgermeister-Stellvertreter sieht in Alkoholverbot nicht die einzige Lösung

Somit sind Polizisten in puncto Alkohol lediglich für den Schutz der Ordnungsbeamten zuständig, die bei Verstößen gegen das Verbot eine Strafe aussprechen dürfen. Die beläuft sich auf bis zu 300 Euro - eine stolze Summe für sozial benachteiligte Menschen.

"Es gehört entsprechend evaluiert, ob das Verbot aufrechterhalten oder örtlich abgeändert werden soll. Wie das exekutiert wird, kann man durchaus infrage stellen", sagt Bürgermeister-Stellvertreter Florian Kreibich (ÖVP) dazu. Die Stadt führt Schwerpunktkontrollen durch. In Summe sei man inklusive Polizei mit etwa acht bis zehn Personen alle 14 Tage unterwegs, meint Kreibich: "Alkoholverbot allein ist sicher keine Lösung. Da bedarf es mehrerer Maßnahmen. Mit der Sozialstadträtin Andrea Brandner (SPÖ) sind wir in gutem Austausch."

"Wie das exekutiert wird, kann man durchaus infrage stellen"
Florian Kreibich
Bürgermeister-Stellvertreter

Auch sie ist der Meinung, dass es am Bahnhof neben Ordnungspolitik Sozialpolitik brauche. Die Stadt hat im Vorjahr Mittel für die Arbeit von Streetworkern aufgestockt. Zudem gibt es soziale Einrichtungen in der Nähe. Dazu zählt das Haus Elisabeth, wo obdachlose Menschen unterkommen können.

Das sei wichtig, weil "Bahnhöfe immer ein Treff für Menschen sind, die kein Zuhause haben oder konsumfreie Orte suchen", sagt Brandner. Seit Mai ist die neue Stadtregierung im Amt, die den Bahnhof umgestalten möchte. Festgehalten sei das in einem Arbeitsabkommen, so Brandner: "Und das ämter- und ressortübergreifend."

" Weil Bahnhöfe immer ein Treff für Menschen sind, die kein Zuhause haben oder konsumfreie Orte suchen"
Andrea Brandner
Sozialstadträtin

Streetwork der Caritas ist für Sozialarbeit zuständig

Für die Sozialarbeit vor Ort ist das MoSES (kurz Mobile Soziale Arbeit für Erwachsene in Salzburg) der Caritas zuständig. Als Streetworker suchen sie wohnungslose oder armutsbetroffene Erwachsene an ihren Aufenthaltsorten auf. Der Salzburger Hauptbahnhof ist einer ihrer Hotspots.

Die Sozialarbeiter sprechen sie an, hören zu, beraten und bauen dadurch Beziehungen auf. Außerdem verteilen sie Gegenstände wie etwa Decken oder Hygieneartikel. Bei jedem Rundgang haben sie ein Getränk dabei, um den Kontakt mit Betroffenen zu knüpfen.


Am Bahnhof sind die Streetworker mit einem Büro vertreten und mehrmals in der Woche unterwegs. Die ÖBB finanziert seit vergangenem Jahr zudem drei wöchentliche Einsätze. Rund die Hälfte der dortigen Klienten besitzt eine Wohnung, die andere Hälfte verlor sie durch psychische Krankheiten oder Suchterkrankungen, erklärt Einrichtungsleiterin Julie Arnold. Armutsmigranten zwingen die Umstände in ihrem Herkunftsland in die Obdachlosigkeit. Die Sozialarbeiter versuchen durch Gespräche auf Augenhöhe, in ihre Lebenswelten einzusteigen.

Dass manche Menschen den Bahnhof als Brennpunkt wahrnehmen, kann sie nachvollziehen. "Ich habe es aber selbst nie so empfunden. Das subjektive Bild beruht darauf, was als störend wahrgenommen wird", vermutet die Einrichtungsleiterin und fügt hinzu: "Der Bahnhof ist für viele wohnungslose Menschen so etwas wie ihr Garten. Ein Ort, wo sie sich treffen und am Leben teilnehmen können."

Wenn es Streitereien gibt, spielen sich die in der Regel nur untereinander ab. Arnold und ihr aktuell dreiköpfiges Team nehme man seit Tag eins herzlich auf. "Aggressionen uns gegenüber gibt es gar nicht. Wenn jemand nicht mit uns sprechen möchte, lassen wir die Person in Ruhe. Grundprinzip ist Freiwilligkeit."

Sozialarbeitern sind immer zu zweit und in Alltagskleidung unterwegs

Das soll sich später bei einem Rundgang zeigen. An dem sonnigen Tag sind Matthias Burgard und Conor Grössenberger eingeteilt. Mit der Einrichtungsleiterin Julie Arnold sind sie heute zu dritt, sonst zu zweit und stets in Alltagskleidung unterwegs. Wie lange ein Einsatz dauert, hängt von Wetter, Wochentag und Uhrzeit ab.


An diesem Tag geht es um 12:30 Uhr los. Burgard und Grössenberger haben jeweils eine silberne Kanne voller Kaffee dabei. Das wirkt: Der erste Klient wartet schon vor dem Büro auf sie. Er hat bei Sonnenschein eine alte Winterjacke an. Um die Schultern hängt eine rote Decke, die einem Superman-Cape gleicht. Unter seinem langen Bart versteckt sich ein Lächeln. Es wird größer, als ihm die Sozialarbeiter mit dem selbigen Lächeln den Kaffee reichen. Danach machen sie sich auf den Weg.

Die Sozialarbeiter haben immer ein Getränk für ihre Klienten dabei.
Die Sozialarbeiter haben immer ein Getränk für ihre Klienten dabei.


In der Nähe des Büros liegt ein Mann in eine Jacke eingekuschelt am Boden. Er hat kein T-Shirt an, dafür einen knallgelben Sicherheitshelm dabei. "Guten Morgen. Vielleicht ein Kaffee zum Frühstück?", fragt einer der Sozialarbeiter wieder mit einem Lächeln auf den Lippen. Der Mann freut sich über das Angebot und nimmt dankend an. So beginnt ihr Gespräch. Irgendwann verabschieden sie sich. "Voll lieb, danke. Voll lieb", ruft der Mann hinterher.

Dritte Station. Kurz vor den Treppen Richtung Bahnhofshalle stehen zwei Männer mittleren Alters. Einer spricht gebrochenes Deutsch, der andere gar keines. Die Streetworker kennen sie bereits und beginnen ein vertrautes Gespräch. Nach einer Tasse Kaffee verabschieden sie sich.

Etwas später stellt sich heraus: Die beiden Männer, die gepflegt und unauffällig gekleidet waren, sind eigentlich wohnungslos.

Obdachlosigkeit ist nicht immer klar erkenntlich, erklärt die Einrichtungsleiterin später. Das Bild, das manche mit einem ungewaschenen Menschen in Verbindung bringen würden, trifft also nicht immer zu.

Nach drei Stopps geht es Richtung Vorplatz. Kaum sind sie da, kommt ihnen schon ein Mann mit einem auffälligen T-Shirt entgegen. Auch er gehört zu einem älteren Jahrgang. Und auch er kennt die Streetworker gut, gibt ihnen gleich die Hand.

Es geht um seine Alkoholtherapie, die bald vor der Tür steht. Die Sozialarbeiter beraten ihn, bieten ihre Unterstützung an und sprechen ihm zu. Er ist positiv gestimmt und bedankt sich. "Ich muss was ändern. Ich werde was ändern", sagt der Mann abschließend, bevor er sich verabschiedet und der Gruppe wieder anschließt.

Die Sozialarbeiter mischen sich darunter. Alle treten ihnen freundlich gegenüber. Die Stimmung ist harmonisch. Die Klienten fangen mit ihnen Gespräche an, teilen ihre Freuden und Probleme. In der Zwischenzeit fährt ein Polizeiwagen vorbei. Er macht Halt und zwei Polizisten steigen aus. Sie sprechen jemanden an, steigen wieder ein und setzen ihre Runde fort. "Die Polizei zeigt Präsenz. Manchmal fahren sie vorbei, manchmal steigen sie aus", erzählt Arnold.

Einer in der Gruppe hat einen kleinen Stoffball dabei. Er ist weich, hat etwa die Größe von einem Tennisball und ist mit bunten Streifen verziert.

Mit dem Ball in der Hand lädt er die Einrichtungsleiterin zum Spielen ein. Zwei junge Männer schließen sich an. Sie spielen sich den Ball zu, lachen miteinander. Ohne dass sie sich kennengelernt haben. Das passiert etwas später, als sie sich nach ein paar Pässen die Hand reichen.

Daraufhin fängt der Mann mit dem auffälligen T-Shirt den Ball und wirft ihn einem der anderen zu. Plötzlich hat sich eine Gruppe, eine kleine Sportmannschaft entwickelt. Sie alle haben andere Lebensgeschichten, unterschiedliches Alter. Und trotzdem schaffen sie es, gemeinsam zu lachen. Der Stoffball verbindet sie. "Das Schöne ist, wenn man mit den Leuten spricht, merkt man, dass sie ganz normale Menschen sind", sagt die Einrichtungsleiterin.

Nach einiger Zeit verabschieden sich die Streetworker von der Gruppe und gehen Richtung Taxistand. Ein alter Herr steht dort. Er ist in eine Winterjacke und eine graue Decke eingewickelt. Die Sozialarbeiter begrüßen ihn, bieten einen Kaffee an. Er spricht eine andere Sprache, irgendwie können sie sich aber verständigen.

Dass jemand nicht Deutsch sprechen kann, kommt schon mal vor, so Arnold: "In solchen Fällen haben wir entweder einen Dolmetscher an der Seite, nutzen Übersetzer oder kommunizieren mit Hand und Fuß. Das funktioniert erstaunlich gut." In dem Fall zeigt der Mann mit einem Handzeichen, dass er etwas Kaffee vertragen könnte. "Gut?", fragt einer der Sozialarbeiter freundlich. Der Mann nickt. Sie verabschieden sich. Wieder mit einem Lächeln.

Für die Sozialarbeiter geht es jetzt weiter Richtung Rainerstraße. Der alte Mann von zuvor bleibt mit dem Kaffee an seinem Platz stehen. Er befindet sich nicht unweit von den hellgrauen Betonklötzen. Den Tischen in ihrem Garten Eden.

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