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Steckt die Landwirtschaft in der Krise?

Immer weniger Bauern, immer mehr Leistung. Milch ist ein großes Geschäft, aber nicht für die Landwirte. Für sie steigt der wirtschaftliche Druck.

Die ehemaligen Landwirtschaftslehrer und Biobauern Toni Maier (l.) und Sepp Schröcker.
Die ehemaligen Landwirtschaftslehrer und Biobauern Toni Maier (l.) und Sepp Schröcker.

"Wir stehen vor einem enormen Strukturwandel. Immer mehr Landwirte im Nebenerwerb geben auf", sagt Sepp Schröcker. Der ehemalige Lehrer der Landwirtschaftsschule Tamsweg verweist auf aktuelle Zahlen: "In Österreich geben etwa 1000 Betriebe jährlich auf. In den westlichen Bundesländern (Salzburg minus 70 pro Jahr) sind es zwar weniger, aber trotzdem muss sich die Kurve einschleifen, sonst haben wir in zehn Jahren nur mehr die Hälfte an landwirtschaftlichen Betrieben in Österreich."

Und das voranschreitende "Bauernsterben" trifft vor allem die kleinstrukturierte Landwirtschaft im Nebenerwerb. Die Arbeit, die Bauern leisten, hat sich seit Jahrzehnten wenig verändert. Der Unterschied zu früher liegt im Wie: Was einst der Bauer erledigte, das übernehmen nun Maschinen. Dabei geht es nicht nur um technischen Fortschritt, sondern um Leistungssteigerung und um mehr Intensität. Neue Flächen werden dazu gepachtet, die Intensivierung von Grund und Boden nimmt durch Überdüngung und mindestens vier "Schnitte" der Wiesen jährlich zu: "Top-Stallungen brauchen viel Geld, es wird Silomais und Kraftfutter zugekauft, die Leistungskraft der Kühe gesteigert. Die Bäuerin und der Bauer, die arbeiten fleißig im Tourismus oder schuften am Bau nebenher", sagt Biobauer Toni Maier aus St. Johann, "damit sich das alles rechnet. Und trotzdem ist das langfristige Überleben nicht gesichert."

Dringend Maßnahmen um gegenzusteuern

Ist den Konsumenten dieser Strukturwandel mit seinen negativen Auswirkungen auf das dörfliche Leben oder auf das Klima egal? Welche Maßnahmen braucht es, um gegenzusteuern? Hier gehen die Meinungen der ehemaligen Landwirtschaftslehrer und praktizierenden Landwirte Sepp Schröcker (Krakauschatten/Stm.) und Toni Maier auseinander.

Die neuen Regeln der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) treten 2023 in Kraft. Danach müssen die Mitgliedsstaaten 2023 und 2024 dafür sorgen, dass mindestens 20 Prozent der Direktzahlungen an Landwirte in umwelterhaltende Maßnahmen investiert werden. In Österreich bedeutet das die Überarbeitung des Österreichischen Programms für umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL). Die ersten 20 Hektar werden höher entlohnt und die einzelnen kleineren Betriebe erhalten künftig auch mehr Geld für Investitionsförderungen, "doch das Überleben ist damit nicht gesichert und kein Betrieb gerettet. Das ist eher kosmetischer Natur", weiß Schröcker.

Die Vergrößerung der durchschnittlichen Betriebsgröße, das sei womöglich auch die von der EU gewollt geplante Zukunft, so die Landwirte. Denn der Boden wird benötigt: für den wachstumswilligen Berufskollegen, für die Wirtschaft und für Bodenspekulanten. Das Ziel einer Produktivitätssteigerung kann nur durch eine Vergrößerung von Betrieben erreicht werden. In Gefahr sind dabei der Erhalt von ländlichen Arbeitsplätzen und die ländliche Lebensweise, wenn immer mehr Kleinbetriebe zur Aufgabe gezwungen sind.

Unnatürliche Höchstleistungen Milchkühe

"Der Strukturwandel geht schleichend weiter", sagt Maier, "speziell in der Milcherzeugung geht das mit einer Intensivierung auf den Feldern samt einer Abnahme der Biodiversität und Blühwiesen einher. Die Intensivierung im Stall bringt unnatürliche Höchstleistungen bei den Milchkühen. Ein Strukturwandel, der mit Billigstartikeln in Supermärkten samt Werbeslogans wie ,Bio zum Diskonterpreis' noch getoppt wird. Doch der Bauer bekommt immer weniger für seine Arbeit bezahlt." Im Jahr 1987 betrug der Preis für ein Kilo Milch 50 Cent für die Bauern. 2021 erhielten sie dafür knapp 40 Cent. Mittlerweile gibt es in unserer Region keinen Bauern mehr, der nicht auf die Ausgleichszahlungen aus der GAP angewiesen ist.

"Es braucht mehr Druck durch die Konsumenten", betont Maier und sein Vorschlag lautet: "Weniger Schnitte auf unseren Wiesen und dafür eine stark verringerte Anlieferungsmenge von Milch mit einem viel besseren Preis für den Bauern." So könnte der Bauer auch klimafreundlicher wirtschaften. Denn gerade kleine Höfe mit ihrer vielfältigen Kreislaufwirtschaft produzieren mit Abstand am fairsten, verlässlichsten und am nachhaltigsten. Damit wieder ein solch natürlicher Kreislauf erreicht werde, sei eben die Allgemeinheit gefordert, so die Meinung von Maier: "So ist es auch zu einer Energiewende gekommen. Verantwortlich ist die Agrarpolitik. Eine Spitzenkuh, die gibt heute bis zu 10.000 Kilogramm Milch pro Jahr. In den 60ern waren es nicht mehr als 3000 Kilogramm."

Mehr Förderung für die kleinstrukturierte Landwirtschaft

Der kleinen Milchwirtschaft muss man ordentlich unter die Arme greifen, dieser Ansicht ist auch Schröcker, denn sie sei die Basis für eine intakte Region. Doch die Lösung für eine dringend nötige Agrarwende sieht er an anderer Stelle: "Selbst wenn wir den Milchpreis steigern würden oder einen gestaffelten Milchpreis einführten, ist ein Strukturwandel nicht mehr aufzuhalten", so die Ansicht von Schröcker, "weil dadurch der große Milchviehbetrieb viel stärker profitiert, der bereits jetzt schon Kostenvorteile hat. Vielmehr muss sich die Agrarpolitik durch eine mindestens vierfache Förderung der Kleinen über die GAP einschalten."

Dazu sollte man den künftigen Landwirten und kleinen Milchbetrieben auch mehr Mut zusprechen, um neue Wege gehen zu können. Damit sie nicht bei der kleinsten Krise aufgeben. Konsumenten und Handelsunternehmen tragen Verantwortung. "Rasche und faire Maßnahmen gegen das Höfesterben und auch gegen die Klimakrise sind dringend nötig", betont Schröcker.

Daten & Fakten: Größer, schneller, mehr?

Der durchschnittliche Milchpreis lag 1987 für ein Kilo Milch bei 50 Cent für die Bauern. 2021 erhielten sie dafür knapp 40 Cent.
Ende 2020 gab es in Österreich 24.645 Milchbetriebe. Jährlich werden es etwa um 1000 weniger.
In Salzburg waren es Ende 2020 3323 Milchbetriebe und damit jährlich etwa 65 weniger.
Die Alternative für viele Landwirte bedeutet Aufstocken und Wachsen. Erhöht wird die Anzahl der Milchkühe, ihrer Leistungen und der notwendigen Infrastruktur. Es wird kräftig in Stallungen und Technik investiert, und doch gibt es immer weniger Bauern. Diejenigen, die bestehen bleiben, erwirtschaften größere Erträge.
"Was in den letzten 50 Jahren mit den Milchkühen hinsichtlich der kraftfutterbetonten Fütterung und einseitigen Milchleistungszucht geschah, ist in höchstem Maße widernatürlich bis tierschutzrelevant", meint auch Alfred Haiger, vor seiner Pensionierung Universitätsprofessor an der Boku in Wien.
Auch wenn viele Landwirte durch ihre Jobs im Tourismus oder in der Baubranche vieles fleißig kaschieren, kann sich kaum ein Bauer ohne Ausgleichszahlungen und Förderungen halten.
Zwei Drittel des landwirtschaftlichen Faktoreinkommens, so die Statistik Austria 2017, sind Förderungen.
Steckt die heimische Landwirtschaft also in der Krise? Schaut man sich die nackten Zahlen an, dann ja: In den vergangenen
20 Jahren haben in Österreich 120.000 landwirtschaftliche Familienbetriebe aufhören müssen. 1970 gab es in Österreich 366.000 land- und forstwirtschaftliche Betriebe; 20 Jahre später waren es noch 282.000; und wiederum fast 20 Jahre später (2017) gab es nur mehr 162.000 Betriebe.

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