Zu ihrem 40. Geburtstag im Herbst 2021 sollte sich für Burgi Erlbacher einiges ändern: Die Jahre davor war sie bei ihren Kindern zu Hause, jetzt wollte sie in die Erwerbsarbeit zurückkehren. "Davor hat sich das nicht ergeben: Wir haben vier Kinder. Und mein Jüngster erkrankte an Leukämie, als er drei Jahre alt war, und musste danach zwei Jahre gepflegt werden."
Vor drei Jahren war Thomas zehn Jahre alt und hatte die Krankheit längst überstanden. Burgi Erlbacher wollte eine Stelle als Bürokauffrau antreten. Dann kam alles anders: Die ganze Familie erkrankte an Covid. "Die Impfung war schon verfügbar, aber ich wollte noch abwarten, weil man so viele verschiedene Dinge hörte. Corona erwischte mich dann relativ schwer, mit hohem Fieber und heftigen Schmerzen."
Während sich ihr Mann René und die vier Kinder rasch wieder erholten, blieb bei Burgi Erlbacher die Genesung aus. Sie fühlte sich weiterhin schwach und war nicht belastbar. "Das fing damit an, dass bei Freitestungen meine Virenlast nicht und nicht nach unten ging." Auch das Fieber ging nicht weg, ihre Körpertemperatur blieb immer über 37,5 Grad - bis heute. "Nach drei Wochen habe ich gar nicht mehr rausgehen können. Jede noch so kleine Anstrengung war mir zu viel und ließ meinen Puls nach oben schnellen. Der ganze Haushalt, die Betreuung der Kinder, das ging nicht mehr."
Coronavirus löste Fatigue-Syndrom aus
Mittlerweile ist klar, dass Burgi Erlbacher an Myalgischer Enzephalomyelitis bzw. dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/ CFS) leidet. Hauptsymptom der Erkrankung ist eine starke Zustandsverschlechterung nach Belastungen, die sogenannte post-exertionelle Malaise (PEM). Das Coronavirus kann diese Erkrankung auslösen, aber auch andere Viruserkrankungen.
Phasenweise war die Belastungsintoleranz so schlimm, dass sich Burgi Erlbacher monatelang nur in einem abgedunkelten Zimmer aufhalten konnte. Selbst Gespräche konnte sie nicht führen. Jegliche Reize führen zu Pulsrasen, Kopfschmerzen, Übelkeit. Es kann oft tagelang dauern, bis sie sich von diesen Zusammenbrüchen ("Crash") wieder erholt.
Anfangs hatten die Ärzte die Diagnose ME/CFS noch nicht parat. "Damals war nur von Long Covid die Rede", sagt Vater René Erlbacher. In den ersten Monaten nach Ausbruch ging es darum, das Familienleben weiterlaufen zu lassen. "Ich wechselte in meinem Job als Controller ins Homeoffice, um mich nebenbei besser um Haushalt und Kinder kümmern zu können", sagt er. Hilfe bekamen sie auch von Freunden, die die Familie gelegentlich bekochten. Das größte Problem war, dass den Kindern die Zuwendung der Mutter fehlte. "Ich war davor immer die Hauptansprechperson für alles. Besonders meine damals zwölfjährige Tochter kam damit sehr schlecht zurecht."
Patienten suchen Hilfe und Austausch
In Österreich gibt es kaum Spezialisten und keine Anlaufstelle für die Erkrankung. Bei Burgi Erlbacher kam als zusätzliches Problem das sogenannte Mastzellen-Aktivierungssyndrom dazu - eine häufige Begleiterkrankung von ME/CFS. Dabei entwickelt man verschiedene Unverträglichkeiten, bekommt Verdauungsprobleme und etwa auch Kopfschmerzen von falscher Ernährung. Über Social Media tauschen Betroffene Erfahrungen mit Behandlungen aus. Immer wieder versuchte Burgi Erlbacher verschiedene Methoden aus. "Wir absolvierten eine Sauerstofftherapie, machten eine Vollblutanalyse, Darmdiagnostik. Wir absolvierten auch verschiedene alternativmedizinische Angebote, gingen zur Heilpraktikerin." Wie viele andere Betroffene gab auch Familie Erlbacher viel Geld für Behandlungen aus, die teils Wundersames versprachen - vieles davon fälschlicherweise. Es gehört zum Krankheitsbild, dass Patienten auch unabhängig von Behandlungen bessere und schlechtere Phasen erleben.
"Ende 2022 ging es mir wieder deutlich schlechter und ich konnte gar nicht mehr aus dem Haus. In der Zeit habe ich zum ersten Mal vom sogenannten Pacing gehört: Dabei setzt man sich bewusst Grenzen, da jegliche Überlastung teils dauerhafte Verschlechterungen des Zustandes bedeuten." Burgi Erlbacher legte sich eine Pulsuhr zu, um sicherzugehen, dass ihr Puls nicht über 110 steigt: Das ist bei ihr etwa der Fall, wenn sie nicht mehr liegt, sondern sich aufrichtet. Ein Schrittzähler half ihr auch dabei, ihre Grenzen einzuhalten.
Ketogene Ernährung verbessert Konzentration kurzfristig
Bis zum Frühling 2023 konnte sie so kleine Tätigkeiten im Haus wieder machen. "Zum Beispiel selbst das Gemüse für mein Essen schneiden." Dann bekam sie den Tipp für eine kohlehydratarme - ketogene - Ernährung. "Das hat kurzzeitig gut geklappt, meine Konzentrationsschwierigkeiten wurden deutlich besser. Leider habe ich zu spät gemerkt, dass mein Körper dauerhaft ohne Kohlehydrate nicht klarkommt."
Burgi Erlbacher erlebte danach die bisher schlimmste Phase der Erkrankung. Ein Jahr lang war sie nur mehr in ihrem abgedunkelten Schlafzimmer. Jedes Geräusch, zu viel Licht, das alles stellte für sie eine Überlastung dar. "Dieses Jahr war richtig grauslich für uns", sagt René Erlbacher. Seine Frau schaffte nur noch 100 Schritte am Tag. "Das war drei Mal der Weg aufs Klo", sagt sie. Gespräche waren kaum noch möglich. "Die Kinder haben mich so vermisst. Nicht mehr mit der Mama reden zu können, das war für sie sehr schwierig."
Im heurigen Frühjahr hat sich Burgi Erlbachers Zustand verbessert. Mittlerweile weiß sie auch besser, was hilft und was nicht. So gibt es etwa Medikamente, die ihre Nervenschmerzen lindern. "Darüber hinaus werden wir vorerst keine Behandlungsexperimente mehr machen."
Familienleben verändert sich durch Krankheit
Die Familie hat sich teils mit dem Zustand der Mutter arrangiert. "Die Kinder fragen mich immer: Mama, was hast du heute für einen Tag? Und wenn sie sehen, dass ich meine Schlafmaske aufhabe, dann wissen sie, dass heute nicht so viel geht." Klar ist, dass ein normales Familienleben für sie nicht mehr möglich ist: Skiausflüge, Verwandtenbesuche, Spieleabende: Das alles geht nicht mehr. "Die Kinder würden sich auch darüber freuen, wenn sie einfach nur mal mit der Mama einkaufen gehen können. Aber das lässt mein Zustand nicht zu", sagt Burgi Erlbacher.
Finanziell ist die Situation für die Familie nicht einfach. Außer Pflegegeld der Stufe 2 bekommt Burgi Erlbacher keine Unterstützung. "Da ich davor nicht gearbeitet habe, steht mir auch kein Rehageld zu." Einen Antrag auf frühzeitige Pension hat die Familie nicht gestellt. "Dazu ist ein Besuch bei einem Gutachter nötig. Aber ich bin nicht transportfähig, auch nicht liegend." Ein Problem, das viele Betroffene haben.
Die Familie überlegt, ob sie sich einen Rollstuhl zulegt. "Sitzen ist zwar schwierig für mich, aber so könnte ich zumindest kurz hinauskommen." Auch ein Treppenlift ist ein Thema. "Die paar Treppen schaffe ich zwar an den meisten Tagen. Aber wenn ich mir diese Schritte ersparen könnte, hätte ich Kraft für andere Dinge."
Weihnachten blickt die Familie trotz allem positiv gestimmt entgegen. Denn im Vorjahr wurde das Weihnachtsfest mit Videoübertragung zur Mutter ins Schlafzimmer abgehalten. "Wenn es so bleibt wie jetzt, werde ich heuer dabei sein können."
Spenden für Burgi Erlbacher sammelt das Rote Kreuz:
IBAN: AT11 2040 4005 0025 1363
Kennwort: "Für Burgi"
Das Geld kommt zu 100 Prozent
der Familie zugute.
Versorgung von ME/CFS-Patienten
Zuwachs
Die Krankheit ME/CFS ist seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation klassifiziert. Hauptauslöser sind Infekte, dazu gehört auch eine Covid-Infektion. Fachgesellschaften gehen davon aus, dass sich die Zahl der Betroffenen seit der Coronapandemie verdoppelt hat. In Österreich sollen bis zu 80.000 betroffen sein, in Salzburg bis zu 5000.
Unversorgt
Selbsthilfegruppen beklagen seit langem, dass die Patienten in Österreich nicht versorgt werden. Klassische Reha-Angebote setzen auf langsame Belastungssteigerungen, was bei dieser Krankheit zu teils dauerhaften Zustandsverschlechterungen führen kann. Da dies viele Mediziner nicht wissen, fodern Betroffene Spezialambulanzen, um an die richtig Versorgung zu kommen.
Umdenken
Das Sozialministerium hatte in einem Aktionsplan festgelegt, dass es in allen Bundesländern entsprechende Anlaufstellen geben sollte. Noch im Sommer hieß es vonseiten des Landes, dass eine Spezialambulanz nicht zielführend sei, da die Erkrankung zu viele verschiedene Symptome aufweise. Ende November kam dann überraschend ein Umdenken: Auf einen Antrag der Grünen-Fraktion im Landtag wurde die Einrchtung einer Anlaufstelle beschlossen. Offen ist derzeit noch, wo diese Stelle angesiedelt werden soll. Grünen-Abgeordnete Kimbie Humer-Vogl hält eine Ansiedelung an die Salzburger Landeskliniken am sinnvollsten. "Das würde die Wege für die Erkrankten zu den Spezailisten kurz halten."