Am Anfang ist das Wort, nicht etwa das Rad. "Es ist hilfreich, zuerst die Gedanken aufzuschreiben, was man vom Produkt erwartet", erklärt Jenö Hajdu und greift zu den gelben Post-its. Soll es ein schnelles Auto werden? Kräftig, muskulös? Oder freundlich? "Viele Fahrzeuge haben eine zunehmend aggressive Ausstrahlung bekommen", sagt Jenö und stellt dann die Frage: "Wollen wir von Objekten umgeben sein, die Aggressivität ausstrahlen?"
Polestar, für das der 29-jährige Salzburger in Göteborg als Autodesigner arbeitet, will das nicht. "Pur und reduziert, sportlich, aber nicht aggressiv", beschreibt Jenö den Charakter der schwedischen E-Auto-Marke. Wie er seinen Job beschreiben würde? "Viel Arbeit und viel denken." Autodesigner liebten das Genaue und das andere. Experimentiert werde in alle Richtungen, vieles werde gar nicht umgesetzt. "Ideen verändern zu müssen tut manchmal weh, aber wenn man leidenschaftlich genug ist, geht es manchmal doch."
Die SN haben den Salzburger im Designstudio von Polestar in Göteborg getroffen. Seit vier Jahren ist die Stadt an der schwedischen Westküste, in der Volvo das ist, was Volkswagen für Wolfsburg ist, Jenös neue Heimat. Er genieße den Norden, betont er, "ich habe kein Problem mit der Winterzeit und im Sommer sind 25 Grad genug für mich". Auch die Freundin ist nicht allzu weit weg, sie ist Modedesignerin und arbeitet aktuell in Kopenhagen.
Kurz vor Ausbruch der Coronapandemie im Jänner 2020 dockte der Salzburger als Praktikant bei Volvo an. Davor war er ein halbes Jahr bei BMW in München im Mini-Design-Studio. Auch in Schweden sollte er nur ein halbes Jahr bleiben, wegen der Pandemie verlängerte er auf ein Jahr - und blieb bis heute. Vor zwei Jahren wechselte Jenö Hajdu als Exterior Designer ins Team der 2017 aus Volvo heraus geborenen E-Auto-Marke Polestar ("Polarstern"). Chefdesigner ist dort der gebürtige Grazer Maximilian Missoni (SN-Interview am 26. 3.).
Die insgesamt zehn Exterior Designer bei Polestar stammen aus aller Welt - China, Belarus, Frankreich, den Niederlanden oder den USA. Jenö nennt den Mix an Kulturen "eine extreme Bereicherung".
Er selbst ist in Salzburg in einem österreichisch-ungarischen Familienmix aufgewachsen. Sein Vater, ein gebürtiger Ungar, kam als Mozarteum-Student für Komposition nach Salzburg. Die Mutter, ursprünglich aus Graz, hat Tanz, Gesang, Musik und Psychologie studiert. Auch Jenö wollte Musiker werden, fing früh mit dem Cellospiel an und besuchte das Musische Gymnasium. Als er mit 13 eine Fernsehdoku über Autodesign sah, änderte er seinen Berufswunsch radikal: "Ich wusste, das will ich machen."
Er suchte auf Facebook nach einer geeigneten Ausbildung. "Jemand aus Australien hat mir dann eine Liste von Designschulen geschickt - von London bis Detroit", erinnert sich Jenö. Das Problem: Alle waren ziemlich teuer, bis auf eine, die Hochschule im deutschen Pforzheim. Mit 14 wünschte sich Jenö ein Zugticket dorthin, dann wechselte er in Salzburg an die HTL für Textildesign und schloss bei den Salzburger Festspielen ein Vorpraktikum in Modellbau an. Der VW-Bulli, den er zum Abschied zeichnete, steht dort heute noch gerahmt in einem Bücherregal.
"Das Handwerk ist im Autodesign immer noch wichtig", betont der 29-Jährige, "es ist das Auge des Designers, der Geschmack, die Vision hinter der Gestaltung, die kann man nicht ersetzen."
Nach der Bleistiftskizze wird es aber doch sehr digital, der Entwurf wird am Computer zum 3D-Modell, das Stück für Stück geformt und zusammengebaut wird. "Da merkst du dann, ob etwas gar nicht funktioniert oder du deine Vision durchziehen kannst", erklärt Jenö. Um Prozesse zu beschleunigen, werde auch mit künstlicher Intelligenz gearbeitet und experimentiert. Es sei verführerisch, ständig noch etwas zu gestalten. Wann es genug ist? "Wenn die Zeit aus ist." Dann wird ein 1:1-Tonmodell des 3D-Entwurfs gebaut, es folgen Aerodynamiktests. Gut vier bis sechs Jahre dauert es, bis ein Auto von der Idee bis zum Bau fertig ist, "das ist schnell", erklärt Jenö. Manchmal veränderten sich im Entstehungsprozess auch gesetzliche Auflagen, etwa beim Fußgängerschutz, darauf müsse man reagieren. Zu den wichtigsten Designelementen zählten die Lichter, "die stehen in der Hierarchie sicher weit oben".
Seinen Traum vom Autodesigner hat sich der 29-Jährige konsequent erfüllt. Doch auch das Cello hat er nicht weggelegt. Jenö Hajdu spielt jetzt im Symphonieorchester von Göteborg.