Sie stehen Tür an Tür in der Schopenhauerstraße 79 im 18. Bezirk in Wien - die Neue Mittelschule (NMS), die Polytechnische Schule und das Gymnasium Klostergasse, das nach der angrenzenden Seitenstraße benannt ist. "Im Prinzip könnte man einen Stein in das Klassenzimmer der benachbarten Schule werfen, so nah sind wir beieinander", scherzt Erika Tiefenbacher, die Direktorin der NMS. Sie weiß am besten, dass tatsächlich Welten zwischen ihren Schülerinnen und Schülern und jenen der AHS liegen.
Das beginnt bei den "90 bis 100 Prozent" der Schüler an der NMS, die zu Hause eine andere Sprache als Deutsch sprechen, weil sie selbst oder ihre Eltern vorwiegend aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Afghanistan oder Syrien stammen. Und es geht damit weiter, dass ihre Eltern meistens nicht studiert, vielleicht einen Beruf erlernt haben. So wie die Eltern von Zeyned aus der 2b - die Mama Österreicherin und Verkäuferin, der Papa ein gebürtiger Türke und Bauarbeiter. Ihre Klassenkollegin Michelle stammt zwar aus einer österreichischen Familie. Sie wächst aber mit fünf Geschwistern auf. Um Michelles Ausbildung sorge sich nur die Oma, erzählen ihre Lehrerinnen.
Schüler mit diesem familiären Hintergrund findet man an der benachbarten AHS hingegen selten. "Bei uns ist ein Drittel der Kinder Migranten mit einer andere Erstsprache als Deutsch. Aber das sind meist Kinder von Botschaftsmitarbeitern, Wissenschaftern, Unternehmern, die in Österreich arbeiten", klärt AHS-Direktorin Karin Lobner-Schatzl die SN auf. Dementsprechend engagiert seien auch die Eltern, wenn es um die Schulleistungen ihre Zöglinge gehe. "Ich habe türkische Mütter und Väter, die den muttersprachlichen Unterricht ablehnen, weil sie unbedingt wollen, dass ihr Kind Deutsch spricht", erzählt Lobner-Schatzl.
So etwas kann Franz Burda, dem Direktor der Polytechnischen Schule, die zwischen dem NMS-Gebäude und der AHS steht, kaum passieren. Er weiß, dass viele seiner 275 Schülerinnen und Schüler an seiner Schule sind, weil sie auf keine Unterstützung ihrer Eltern zählen können - sei es auch nur, weil sie sich mit dem österreichischen Schulsystem nicht auskennen. Burda ist deshalb schon froh, wenn es gelingt, den meisten binnen eines Jahres eine Lehrstelle oder einen Platz in einer weiterführenden Schule, meist einer BMHS, zu vermitteln - so wie es die Aufgabe eines "Polys" ist. Sie haben dort neben Mathematik, Deutsch und Englisch auch Berufsorientierung und Berufsberatung auf dem Stundenplan, um in den schuleigenen Werkstätten, Büros und Küchen die ersten Handgriffe als Elektrotechniker, Bürokaufmann oder Koch zu erlernen. Eine Erfahrung, die Direktor Burda jedem Schüler empfehlen würde, auch wenn er in eine NMS oder AHS geht. "Ich wäre dafür, aus den Polytechnischen Schulen Praxisschulen zu machen, in der jeder Schüler - neben dem Unterricht an seiner Stammschule - ein bis zwei Praxistage in der Woche besucht", erklärt er im SN-Gespräch. Burda findet, dass es jedem Viertklassler guttäte, mit Schülern, mit denen man sonst nichts zu tun hat, in der Klasse zu sitzen.
Dass Schulen Parallelwelten sein können, beweist das Beispiel der Schopenhauerstraße. Dabei tun die hiesige NMS, die Polytechnische Schule und die AHS ihr Bestes, um zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel sind die "Poly"-Schüler jedes Jahr beim "Nachbarschaftsfest", das die Bezirksvorstehung gemeinsam mit der Neuen Mittelschule im Mai veranstaltet. Die Küche und die drei Turnsäle teilen sie sich ohnehin mit den NMS-Schülern.
Dank des Engagements ihrer Lehrer arbeiten auch die NMS Schopenhauerstraße und das Gymnasium Klostergasse immer wieder eng zusammen. Den Anfang machte ihr Projekt "Vielfalt der Kulturen, ungleiche Stadt" vor einigen Jahren, wo Schüler der NMS und des Gymnasiums gemeinsam mit Studenten der Wirtschaftsuniversität ihre familiären und kulturelle Unterschiede durchleuchtet haben. Für ihr "Literatur Kreativ Tandem" gewannen beide Schulen 2011 den "Fairness Award". Dafür taten sich NMS-Lehrerin Gerda Reißner und die beiden AHS-Lehrer Heinrich Nagy (Bildnerische Erziehung und Werken) und Margaret Skopec (Englisch) vom Gymnasium zusammen. "Meine Viertklassler haben ihre Familiengeschichten erzählt, die Siebtklassler des Gymnasiums haben sie dann aufgeschrieben", erzählt Reißner. Herausgekommen ist eine gemeinsam gestaltete Ausstellung.
Einfach zu organisieren sei das aber nicht gewesen, betont Lehrer Nagy. "Wir haben nicht das Personal wie die NMS. Bei uns ist niemand für Projekte zuständig", meint er. Seine Direktorin, Karin Lobner-Schatzl, kann das nur bestätigen: "Wir müssen uns nach der Decke strecken, um alles zu schaffen. Im Gegensatz zu den NMS wurde in die Gymnasien in den letzten Jahren wenig investiert", kritisiert sie. Dabei hätte Lobner-Schatzl nichts dagegen, dass auch an ihrer Schule Zweitlehrer in den Hauptfächern unterrichten wie an den NMS. Sie hätte auch gern muttersprachlichen Unterricht, wie es ihn an den NMS und Polytechnischen Schulen gibt. Sogar einer gemeinsamen Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen steht sie persönlich offen gegenüber - wenn es denn genügend Arbeitsplätze und Räume für die Schüler gäbe, "damit sie sich den ganzen Tag an der Schule aufhalten können".
In diesem Punkt ist sich Lobner-Schatzl mit ihren Kollegen - Tiefenbacher und Burda - übrigens einig. Alle drei Direktoren jammern über Platzprobleme. Dabei könnte man meinen, dass sich doch bei drei Schulgebäuden nebeneinander eine Lösung finden lassen müsste. Lobner-Schatzl: "Schön wär's. Wir haben unterschiedliche Schulerhalter." Stimmt. Für die Pflichtschulen, also die Neue Mittelschule und die Polytechnische Schule in der Schopenhauerstraße, ist die Stadt Wien, für das Gymnasium Klostergasse der Bund zuständig.
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