Österreich ist in manchen Bereichen offenbar tatsächlich eine Art "Insel der Seligen". Denn obwohl auch hierzulande in den vergangenen Jahren die Preise fürs Wohnen teils exorbitant gestiegen sind, steht mit dem System der Gemeinnützigkeit die Möglichkeit, günstigen Wohnraum zu schaffen, nach wie vor zur Verfügung. Das zeigt ein Blick auf die europäische Ebene, wo mit diesem Thema ganz unterschiedlich umgegangen wird.
Claire Roumet, Generalsekretärin von Cecodhas Housing Europe: "Das österreichische System ist für Europa ein Vorbild. Es ist ein stabiles System, das den Steuerzahler vergleichsweise wenig kostet. Österreich ist dadurch auch nicht so stark von den Finanzmärkten abhängig." Roumet beleuchtete die Situation in Europa anlässlich einer Studienreise des österreichischen Vereins für Wohnbauförderung nach Brüssel: "Die vergangenen beiden Jahrzehnte waren auf europäischer Ebene beim Thema Wohnen verlorene Jahre, weil eigentlich nichts passiert ist." In vielen Ländern gab es reine Kreditbeihilfen, was zu einer hohen Eigentumsrate geführt hat, der soziale Wohnbau geriet ins Hintertreffen. Karl Wurm, Obmann des Österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV) assistiert: "Vieles ist über Verschuldung finanziert worden. Das erhöht das Risiko für die Banken und enthält außerdem ein spekulatives Element."
Gleichzeitig ist in Österreich der Prozentanteil der Wohnbauförderung am BIP von 1,1 auf 0,7 Prozent gesunken. "Durch den höheren Mietanteil bringen wir hier viel mehr Stabilität in den Markt", betont Wurm: "Miete ist dauerhaft der Spekulation entzogen."
In anderen europäischen Ländern sei sozialer Wohnbau nur den ärmsten Schichten offengestanden, was zu einer Ghettobildung mit all ihren Folgen führte. Roumet: "In Griechenland hat die Troika sogar empfohlen, von der früheren starken Förderung von Eigentum abzugehen. " Gerade seit der Wirtschaftskrise gebe es in der gesamten EU einen starken Anstieg von Wohnungssuchenden, so hat sich deren Zahl beispielsweise in Irland verdoppelt. Durch reine Subjektförderung (also ein direkter Zuschuss an die Bewohner) sinkt das Preisniveau aber nicht. "Eine kostendeckende Miete ist von den Menschen oft nicht bezahlbar. Das ist kein nachhaltiges System", betont die Expertin. Die soziale Wohnungswirtschaft brauche stabile und jederzeit verfügbare Mittel. Roumet: "Es gibt hier ein großes Verbesserungspotenzial, man könnte etwa die Strukturfonds für die Modernisierung und Sanierung einsetzen. Die Europäische Investitionsbank soll mehr Mittel zur Verfügung stellen." Bei einem informellen Ministertreffen soll im Dezember dieses Thema erörtert werden, fordert Roumet.
Doch auch andere Systeme, wie beispielsweise das österreichische oder skandinavische, könnten mit Problemen auf europäischer Ebene konfrontiert werden. Schon in der Vergangenheit mussten Schweden und Dänemark ihre sehr ähnlichen Systeme ändern, weil sich private Bauträger benachteiligt gefühlt haben. Derzeit ist ein ähnliches Verfahren gegen Frankreich im Gange. Die französische Regierung hat darauf aber sehr kraftvoll und begründet reagiert. Dort sei es Staatsziel, günstigen Wohnraum für alle Franzosen zu schaffen. Ähnlich verhält es sich auch in Österreich. Markus Sturm, Obmann des Vereins für Wohnbauförderung: "Es war immer das Ziel in Österreich, breiten Schichten bis hinein in den Mittelstand finanzierbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das verhindert einerseits die Ghettoisierung durch die vernünftige Durchmischung der Wohnhausanlagen, andererseits wirkt es auch auf den Gesamtmarkt preisdämpfend."
Er ist deshalb sehr froh, dass sich auch das Europäische Parlament mit dem Thema befasst und am 11. Juni 2013 einen Initiativantrag beschlossen hat, der in dieselbe Richtung zielt. "Darin wird auch stark auf die sozialpolitischen Ziele eingegangen", sagt Sturm. Wohnen habe weit mehr als nur finanzielle Aspekte, sondern viele Folgewirkungen, die stark in den sozialen und gesellschaftlichen Bereich hineingingen. Dies müsste auch auf europäischer Ebene berücksichtigt werden.
"Ich weise etwa auf Punkt elf des Antrags hin, worin die Kommission aufgefordert wird, die Einschränkung von Förderungen nur auf sozial stark benachteiligte Gruppen aufzuheben", betont Sturm, der auch Geschäftsführer der Genossenschaft "Die Salzburg" ist. In Punkt 13 werde die Kommission aufgefordert, davon abzusehen, "Empfehlungen in Bezug auf den Umfang des mit dem Bau von Sozialwohnungen befassten Sektors in den Mitgliedsstaaten auszusprechen".
Für Sturm wichtig ist auch Punkt 59: Das Europäische Parlament weist darauf hin, dass der soziale Wohnungsbau so strukturiert sei sollte, dass es weder zu einer Gentrifizierung noch zu einer Ghettoisierung kommt. Gefordert werden hingegen finanzielle Anreize, durch die gemeinsamer und gemischter privater und sozialer Wohnraum erschlossen werden, damit es nicht zu sozialer Segregation kommt.
Daten & Fakten
Viel Aufholbedarf in Belgiens Städten
Gemeinnützigen Wohnbau wie in Österreich gibt es in dieser Form in Belgien nicht. Mit öffentlichen Förderungen wurden aber viele Gebäude, auch im Zentrum Brüssels, errichtet. Da diese Wohnungen aber nur für Sozialhilfeempfänger zugänglich sind, kam es zu Ghettobildungen. Mithilfe von Sozialprogrammen und Renovierungen versucht man, die Probleme in diesen Quartieren in den Griff zu bekommen. Allein für eine "Modellsiedlung" aus den 50er-Jahren müssen nun 150 Mill Euro aufgebracht werden.