Die Angebote aus dem hohen Norden klingen meist verlockend, etwa so: doppelt so viel Geld wie in Österreich, bessere Arbeitsbedingungen, bezahlte Dienstwohnung, Hilfe bei der Suche nach Kindergartenplätzen, Gratissprachkurse, bezahlte Heimflüge. Die Angebote kommen aus Schweden, Dänemark oder aus Norwegen, wo man in entlegenen Gebieten stets Ärzte sucht.
Laut Ärztekammer arbeiten bereits mehr als 3300 heimische Ärzte im Ausland. Am massivsten ist die Abwanderung nach Deutschland und in die Schweiz. Ende 2013 arbeiteten 2611 österreichische Ärzte in Deutschland, Ende 2011 (aktuellere Zahlen liegen nicht vor) waren es rund 400 in der Schweiz. Es folgen Großbritannien, die skandinavischen und sonstige Ländern. Der Grund für die Abwanderung ist immer derselbe: bessere Arbeitsbedingungen, ein besserer Verdienst.
Beispiel Schweiz: Ein Facharzt verdient dort schon in der Ausbildung 9000 Franken (8400 Euro) Grundgehalt, in Österreich bekommt ein fertiger Facharzt bei der Gemeinde Wien anfangs 4100 Euro brutto. Selbst wenn man die höheren Lebenshaltungskosten in der Schweiz berücksichtigt, ist das ein Unterschied, der immer mehr österreichische Ärzte zum Pendeln bewegt. Ein Österreicher, der in Zürich seine Facharztausbildung absolviert, nennt einen weiteren Vorteil: Ärzte in Ausbildung müssen in der Schweiz weder Zwangsbeiträge an die Ärztekammer noch an deren Wohlfahrtsfonds abliefern. Außerdem, sagt er, kann man in der Schweiz mit den Spitälern über Zusatzleistungen wie Dienstwohnungen, bezahlte Fortbildungen oder Gehaltszuschläge verhandeln. In Wien mit seiner starren Verwaltung sei das unmöglich.
Die Abwanderung ist massiv: Die Hälfte der rund 1300 Medizinabsolventen pro Jahr verlässt Österreich. Etwa 80 Prozent der deutschen Studenten kehren wieder in ihre Heimat zurück, aber auch viele Österreicher gehen. Zum Veranschaulichen: 2014 wurden sieben Medizinstudenten aus dem Bezirk Kitzbühel fertig. Keiner blieb im Bezirk, keiner in Tirol. Drei gingen in die Schweiz, einer nach Deutschland, drei nach Vorarlberg.
Im Gegensatz zu früher bleiben heute sogar die einst heiß begehrten Turnusstellen unbesetzt. Österreichweit sind mehr als 160 Stellen frei - sogar in Wien, wo angehende Mediziner vor Kurzem noch mehrere Jahre auf einen Ausbildungsplatz warten mussten.
Das ist nicht nur für die medizinische Versorgung dramatisch, sondern auch für die Volkswirtschaft. Denn jeder Medizinstudent kostet laut Universitäten rein für das Studium mindestens 26.000 Euro pro Jahr. Macht bei einer Mindeststudiendauer von sechs Jahren 156.000 Euro. Verlässt ein fertig ausgebildeter Arzt (also mit abgeschlossenem Turnus oder Facharztausbildung) Österreich, gehen der Volkswirtschaft 400.000 Euro verloren, insgesamt kostet laut Ärztekammer die Flucht der Jungärzte ins Ausland 250 Mill. Euro jährlich. Das neue Schema mit höheren Grundgehältern sei ein erster Schritt, um Österreich international wettbewerbsfähiger zu machen, heißt es.
In der Praxis ist man davon aber noch weit entfernt: In seinem Spital, erzählt ein Arzt den SN, seien derzeit zehn von rund 100 Ärztestellen - vom Fach- bis zum Assistenzarzt - unbesetzt. Was das für den Rest der Kollegenschaft bedeute? "Derzeit können wir mit einer viel höheren Arbeitsbelastung die fehlenden Arbeitskräfte noch kompensieren", sagt er. Mit der Betonung auf "noch"
