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Brauner Schnee: Die verdrängte Vergangenheit des österreichischen Skisports

Schon 1923 führte der ÖSV einen Arierparagrafen ein. Im Nachkriegs-Österreich wurden belastende Spuren der NS-Zeit auf unglaubliche Weise verwischt.

Skifahren war in der Zwischenkriegszeit für viele ein Ausdruck deutsch-völkischer Gesinnung.
Skifahren war in der Zwischenkriegszeit für viele ein Ausdruck deutsch-völkischer Gesinnung.

Skisport gehört zur österreichischen Identität wie die Lipizzaner und die Sachertorte. Rot-weiß-rote Heldenfiguren von Toni Sailer über Annemarie Moser bis Marcel Hirscher genießen grenzenlose Popularität, weite Teile des Landes leben vom Skitourismus. Doch des Österreichers liebster Sport hat eine finstere Vergangenheit, die von Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus geprägt war. Dumpfe deutschnational-völkische Gesinnung und Hass auf alles Jüdische und Nichtdeutsche war schon lange vor dem "Anschluss" an Hitler-Deutschland 1938 bei den Skibegeisterten weit verbreitet. Vor 100 Jahren, am 7. Oktober 1923, führte der Österreichische Skiverband offiziell einen "Arier-Paragrafen" ein.

Mit dem Ausschluss jüdischer Bürgerinnen und Bürger (bei der Verbandssitzung mit knapp 80-prozentiger Mehrheit beschlossen) war die Skiszene keine Ausnahme in der österreichischen Gesellschaft jener Zeit. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie befeuerten wirtschaftliche und politische Unsicherheit die Anschluss-Sehnsucht. Die 1. Republik stand noch auf wackligen demokratischen Beinen. Antisemitismus und Rassismus waren bei allen politischen Parteien angesagt. "Nur Arier!" oder "Keine Juden!" wurde oft auf Plakaten gewarnt, die zu Versammlungen aufriefen.

Skifahren nur mit "germanischer Volkszugehörigkeit"

Schon 1905 hatten sich der Österreichische und der Deutsche Skiverband am selben Tag im Münchener Augustinerbräu gegründet. Die Verbindungen blieben eng. Man begriff die Alpen als deutschen Kulturraum, von dem bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden sollten, schreibt der Salzburger Historiker Andreas Praher. Der spätere Begründer des Salzburger Landesverkehrsamtes, Hans Hofmann-Montanus, beschrieb den Skiverband 1919 als "nahezu rein alpenländische, deutschalpenländische Vereinigung". Da kam es nur recht, dass Österreich mit dem Ende der Monarchie "den Anhang der slawischen Nationen losgeschüttelt" habe.

Die Zeitschrift "Alpenland" bejubelte 1923, dass der Innsbrucker Skiklub "von nun ab nur mehr Mitglieder arischer Abstammung und germanischer Volkszugehörigkeit" aufnehmen wolle. Damit vollziehe sich "die Abkehr vom Judentum, dessen zersetzende Wirkung die Nachkriegszeit in erschreckender Weise offenbarte".

Wettbewerbe firmierten als "deutsch-völkische Skimeisterschaft" wie 1923 in Bad Gastein.

Zwischenzeitlich war der ÖSV nicht mehr Mitglied des Weltverbandes FIS. Wenig verwunderlich angesichts der Gesinnung, die ÖSV-Präsident Alexander Rödling etwa bei einer Rede im Jänner 1927 offenbarte. Der Skisport könne sich nicht an die "unklare staatsbürgerliche Konstruktion des Staates anlehnen (...), nach der heute jeder eingewanderte Jude und Neger in kürzester Zeit zum sogenannten Volksgenossen gestempelt" werden könne. (Zitat laut Ostdeutsche Rundschau, 18. Jänner 1927).

Keine Startmöglichkeit hatten in diesem Umfeld Skiläufer aus jüdischen Clubs wie dem Wiener Touristik- und Skiclub Hakoah oder Hakoah Innsbruck. International ausgerichtete Vereine wie der Skiclub Arlberg oder der Kitzbüheler Skiclub, die auch an die touristische Entwicklung dachten, distanzierten sich vom radikalen Antisemitismus des ÖSV. Die Arlberger wechselten als Reaktion auf den "Arier-Paragrafen" sogar zum DSV - bis sie 1933 nach der NS-Machtübernahme notgedrungen zurückkehrten.

Die meisten Funktionäre waren Nationalsozialisten

Zu diesem Zeitpunkt war der ÖSV bereits ein durch und durch brauner Sportverband. Überzeugte Nationalsozialisten wie der Salzburger Verbandspräsident und Göring-Schwager Fritz Rigele, Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid oder der Vorarlberger Textilindustrielle Theodor Rhomberg prägten den ÖSV. Historiker Praher ermittelte, dass zehn der zwölf Vorstandsmitglieder des ÖSV in den 1930er-Jahren NSDAP-Mitglieder waren. Acht davon waren schon vor dem Parteiverbot 1933 beigetreten.

Am Rande von Skirennen kam es immer öfter zu unverhohlenen Sympathiekundgebungen für die Nazis. Bei den Tiroler Skimeisterschaften 1934 in Hall eskalierte die Situation nach Heil-Hitler-Rufen und Absingen des Horst-Wessel-Liedes durch Skisportler. Gendarmerie und Bundesheer griffen ein, die Bewerbe wurden schließlich abgesagt.

Skisprung-Idol als illegaler Nazi hinter Gittern

Der Pongauer Skispringer Josef Bradl landete wegen seiner illegalen NS-Tätigkeit bei einem SA-Sturm 1937 im Salzburger Gefangenenhaus. Eine heikle Personalie für den Ständestaat, war Bradl doch zu diesem Zeitpunkt als erster 100-Meter-Skispringer der Welt bereits ein Sportidol. Er dürfte dank seines Star-Status ungeschoren davongekommen sein. Die Episode wird in seinen Biografien weitgehend verschwiegen. Das Bischofshofener Skisprungstadion trägt bis heute Bradls Namen.

Nach dem Anschluss 1938 hatten die neuen Machthaber mit der Integration der weitgehend gleichgesinnten Wintersportler wenig Probleme. Bradl wurde zum SA-Sturmführer befördert und bildete Hitlerjungen aus. Skilehrer und NS-Ideologe Karl Springenschmid organisierte im April 1938 die berüchtigte Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz - und sollte nach Kriegsende zum Biografen des Skiidols Toni Sailer werden.

Ließ ein ehemaliger NS-Agent heikle Akten verschwinden?

Die Umfärbung von braun zu rot-weiß-rot lief nach 1945 für viele Protagonisten der Skiszene überhaupt erstaunlich rasch. "Mitläufer und Mittäter haben das Geschehen der Nachkriegszeit geprägt", sagt Historiker Praher. So machte der frühere Langläufer Fred Rößner, schon 1931 SA-Mitglied und im Krieg SA-Obersturmführer, glanzvoll Karriere als ÖSV-Cheftrainer und Funktionär des Skiweltverbands FIS.

Beim allgemeinen Verdrängen der Vergangenheit half ein Vorgang, der sprachlos macht: 1947 übertrug der ÖSV ausgerechnet dem ehemaligen Nationalsozialisten und Heeresagenten Walther Flaig den Aufbau eines skihistorischen Archivs. Es überrascht nicht, dass der Großteil der Korrespondenz aus den 1930er-Jahren sowie die gesamten Bestände des in Innsbruck ansässigen Reichsfachamtes für Skilauf von 1938 bis 1945 verschwunden sind. Entsprechend schwierig ist es für Historiker, diese Episode wissenschaftlich aufzuarbeiten. Bis heute herrsche zudem bei vielen Verantwortlichen wenig Bereitschaft, die dunkle Phase aufzuarbeiten: "Man stößt auf eine gewisse Reserviertheit", schildert Andreas Praher.


ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober versichert auf Anfrage "volle Kooperation und Zugriff zu Archivmaterialien" für Interessierte. Die Ressourcen seien bei einem Sportverband aber naturgemäß in Richtung Gegenwart und Zukunft gerichtet, um den Hochleistungssport abzusichern. Stadlober verweist auf die ÖSV-Initiative "Optimal Sports", die 2019 ins Leben gerufen worden sei, um "eine gemeinsame Haltung hinsichtlich Werten wie respektvoller Umgang, Wertschätzung, Leistungsbereitschaft, Teamgeist, Gleichberechtigung, Freude, Fairness, sauberer Sport, etc. zu fördern".

Avital Carroll ist eine jüdische Enkelin von Vertriebenen des NS-Regimes. Sie gewann bei der WM 2023 zwei Bronzemedaillen auf der Buckelpiste für Österreich.
Avital Carroll ist eine jüdische Enkelin von Vertriebenen des NS-Regimes. Sie gewann bei der WM 2023 zwei Bronzemedaillen auf der Buckelpiste für Österreich.

100 Jahre danach: Eine jüdische Medaillengewinnerin

In diesem Geist schließt sich im hundertsten Jahr nach dem Arier-Paragrafen in versöhnlicher Weise der Kreis: Das Gesetz, das Nachkommen von NS-Opfern die Einbürgerung ermöglicht, bescherte dem ÖSV eine jüdische WM-Medaillengewinnern. Die Buckelpisten-Freestylerin Avital Carroll aus den USA, eine Enkelin von Vertriebenen des NS-Regimes, nützte diese Chance. Sie nimmt ihren Glauben sehr ernst und sagt: "Meine jüdisch geprägte Erziehung macht viel davon aus, wer ich heute bin. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass es Menschen wegen ihres Glaubens nicht möglich war, ihren Sport auszuüben." 2023 gewann Carroll als Neo-Österreicherin zwei Bronzemedaillen bei der WM in Georgien. Sie erklärt: "Ich bin sehr dankbar, dass ich durch das Einbürgerungsgesetz die Möglichkeit erhalten habe, für Österreich zu starten. Es zeigt einen positiven Wechsel und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein."

Lesetipp: Andreas Praher: Österreichs Skisport im Nationalsozialismus. Anpassung - Verfolgung - Kollaboration. De Gruyter 2021.

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