Herr Kopf, Anfang 2023 sprachen Sie noch vom Jahr der Arbeitnehmer, jetzt schaut es dramatisch anders aus. Immer mehr Betriebe bauen Personal ab, die Wirtschaft tritt auf der Stelle. Wird das Jahr schwieriger als gedacht? Johannes Kopf: Ja, leider, wir müssen uns mit steigender Arbeitslosigkeit beschäftigen und gleichzeitig mit Arbeitskräftemangel, das ist ein schwieriger Spagat.
Warum steigt die Arbeitslosigkeit gerade so stark? Also verglichen mit vielen früheren Jahren haben wir immer noch eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit. Allerdings stagniert die österreichische Wirtschaftsleistung, obwohl für Mitte des Jahres eine positive Wende angekündigt war. Das ist die eigentlich schlechte Nachricht. Es passiert jetzt das, was ich befürchtet habe: Betriebe, die Personal für den Aufschwung gehortet haben, bauen jetzt ihre Überkapazitäten ab. Bisher dachte man, mit Maßnahmen wie Zeitguthaben oder Urlaubsabbau durchtauchen zu können. Das ist vorbei. Manche Firmen stellen ihre Leute jetzt kurzfristig zwei Monate frei und wollen sie dann wieder einstellen. Aber wir reden auch mit Betrieben, vor allem aus der Industrie, die sagen tatsächlich, das geht sich nicht mehr aus.
Baut sich eine Kündigungswelle auf? Am Bau sehe ich die nicht, da greift im Herbst das Konjunkturpaket, aber in der Industrie kommt etwas, vor allem im Automobilbereich.
Und diese Jobs, die da wackeln, kommen vielleicht auch nicht mehr zurück? Es ist zu befürchten, dass es in Wirklichkeit zu einer Redimensionierung der europäischen Automobilindustrie kommt in Hinblick auf die Umstellung zum Elektroauto und den Vorsprung, den China mittlerweile hat.
Einige aus der Industrie wünschen sich die Rückkehr zu einer Kurzarbeit im Coronastil. Was halten Sie davon? Nichts. Kurzarbeit ist ein Instrument, das erfunden wurde, um kurzfristig Naturkatastrophen und außergewöhnliche Situationen zu überbrücken, etwa bei überschwemmten Fabrikhallen nach einem Hochwasser. Auch die Lehman-Pleite 2009 war so etwas wie eine Naturkatastrophe, das war damals großartig, weil 2010 hatten wir schon wieder ein Wachstum von zwei Prozent. Aber die Kurzarbeit ist nicht für den Ausgleich von Wirtschaftsschwankungen gedacht, denn die Nebenwirkungen sind, dass man Leute hält, die woanders gebraucht werden. Ich verstehe die aktuellen Ängste und Schwierigkeiten, aber ich bin der Meinung, Kurzarbeit ist hier das falsche Instrument. In der Wirtschaft gibt es immer auch Wandel.
Wie weit spielt künstliche Intelligenz beim Personalabbau schon mit? Da ist die Evidenzlage noch sehr dünn, aber noch glaube ich, gar nicht. Es gibt ein paar Studien dazu, die sagen alle, großflächig dürfte es mit stärker werdender KI-Nutzung zu keinem Personalabbau kommen. Es gibt einzelne Bereiche, wo das droht, etwa in der Buchhaltung oder überall dort, wo Texte verfasst werden. Gleichzeitig haben wir in der Vergangenheit immer bei den großen Disruptionen - ob Automobil oder PC - gesehen, dass zur selben Zeit neue Jobs entstanden sind. Der dampfbetriebene Webstuhl konnte an einem Tag so viel weben, wie Tausende Frauen in einem Monat geschafft haben. Aber in der Folge waren Stoffe so viel billiger, dass mehr Leute in der Textilindustrie gearbeitet haben als vorher.
Die KI wird also keine Jobs schlucken? Wir führen seit 200 Jahren diese Diskussionen, dass Innovationen Jobs wegnehmen - im Saldo war das nicht der Fall. Allerdings war immer das Problem, dass man aus der Weberin nicht einfach eine Maschinenbedienerin machen kann. Jobs entstehen in anderen Bereichen, als sie verloren gehen, die Umschulung ist die Herausforderung. Wir dürfen daher nicht nur über neue Jobs reden, denn viel relevanter ist, dass sich bestehende Jobs verändern.
Für Weiter- und Fortbildung gibt es in Österreich die Bildungskarenz. Bei der ist zuletzt der Eindruck entstanden, dass sie alles andere als zu echten Bildungsmaßnahmen genutzt wird. Es scheint niemanden zu interessieren, was man macht. Sehen Sie Missbrauch und zu wenig Kontrolle? Wenn jemand ein Instrument nutzt, das es gibt, spreche ich normalerweise nicht von Missbrauch. Aber die Politik hat sich seinerzeit nicht getraut zu sagen, dass diejenigen, die am Schluss einen richtigen Ausbildungsabschluss nicht schaffen, Geld zurückzahlen müssen. Und wir als AMS können auch schwer sagen, dass etwas arbeitsmarktpolitisch nicht sinnvoll ist, wenn sich Arbeitgeber und und Arbeitnehmer auf eine Bildungskarenz einigen.
Aber für die Finanzierung der Bildungskarenz werden bereits mehrere Hundert Millionen Euro pro Jahr ausgegeben. Wie konnte es so weit kommen? Ursprünglich gab es immer nur so 1000 Fälle pro Jahr. Dann kam das Krisenjahr 2009, da wurde aus der Bildungskarenz sozusagen ein persönlicher Sozialplan. Arbeitnehmer haben eine Auflösungsvereinbarung unterschrieben, wenn sie ein Jahr Bildungskarenz bekommen haben und man sich danach von der Firma trennte. Die Anzahl der Bildungskarenzen stieg in Folge auf rund 9000 Fälle. Doch die Erwartung, dass die Zahlen danach wieder sinken, haben sich nicht erfüllt, weil das Modell breit bekannt wurde. Später kam noch die Ergänzung mit dem einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld dazu und damit die Möglichkeit zur verlängerten Babypause, bei der man finanziell besser aussteigt als bei jeder anderen Variante der Elternkarenz. Und mit der Coronapandemie ist der Onlineanteil in der Bildungskarenz deutlich erhöht worden. Daraus ist eine bunte Bildungslandschaft entstanden. Um die Verbesserung der Arbeitschancen geht es dabei sehr oft nicht mehr.
Was nach Reform schreit. Wie könnte für Sie eine Bildungskarenz neu aussehen? Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es das Bedürfnis für private Auszeit gibt, etwa für die Pflege, Kinderbetreuung oder in einer persönlichen Krise. Da könnte die Politik darüber nachdenken, ob es dafür nicht ein anderes Instrument geben kann, etwa mit einem höheren Selbstanteil oder man spart vorher etwas an. Da geht es auch um Versicherungszeiten, aber das ist kein AMS-Programm.
Wie könnte das Bildungsangebot zielgerichteter werden? Derzeit gehen 40 Prozent der Bildungskarenzbezieher gar nicht mehr ins Unternehmen zurück. Also ist die Bildungsmaßnahme nicht unbedingt im Interesse des Unternehmens. Man könnte daher einen Selbstbehalt des Unternehmens diskutieren. Dann hätte die Bildungskarenz sicher wieder mehr Sinn. Mittelfristig werden zudem die Arbeitslosenzahlen wieder sinken, und dann haben wir zu wenige Arbeitskräfte. Da kann man schon darüber nachdenken, ob man die Maßnahmen wie Bildungskarenz und Altersteilzeit nicht wieder einschränkt.
Ist der Fachkräftemangel auf Dauer das größere Problem? Ja, denn wir haben ein Demografieproblem gepaart mit Arbeitszeitverkürzung. Wir reden bei Teilzeit oft nur von den Frauen, aber auch Männer arbeiten zunehmend weniger Stunden. Es gibt Hinweise, dass junge Männer zwar immer noch lächerlich wenig, aber doch zunehmend mehr Papazeit nehmen. Ich hoffe auf eine gerechtere Verteilung der Betreuungsarbeit. Im Idealfall können wir die Reduktion der Männerstunden zur Gänze durch eine Aufstockung bei den Frauen kompensieren. Dafür braucht es einen Ausbau der Kindernachmittagsbetreuung.
Wissen würde man das schon lange, passiert ist wenig. Ja, aber ich habe den Eindruck, dass jetzt, da es nicht mehr nur ein frauenpolitisches Thema ist, sondern auch den Arbeitskräftemangel betrifft, ein bisschen etwas in Bewegung kommt.
Eine Herkulesaufgabe ist die Integration der jungen Migranten auf dem Arbeitsmarkt. Wie kann die besser gelingen? Mit totaler Frühförderung, einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr, Sprachtraining am Nachmittag. Wir dürfen nicht so viele Jugendliche verlieren. Es muss gelingen, dass so wenige Jugendliche wie möglich die Schule nur mit einem Pflichtschulabschluss verlassen. In Wien haben wir für junge Syrer und Afghanen Gott sei Dank wieder ein Sonderbudget für die Jugend-Colleges bekommen, die werden dort den ganzen Tag beschäftigt. Wir geben für ungefähr 6000 Plätze an die 70 Millionen Euro aus, das ist viel Geld. Aber es ist alternativlos, die Nichtintegration kommt teurer.
