Herr Pierer, Sie sind gerade von einer Dienstreise aus China zurückgekehrt. Was nehmen Sie mit nach Österreich? Dass wir uns warm anziehen müssen bei all dem, was auf uns zukommt. Die Schnelligkeit, in der Dinge umgesetzt werden. Der Umstand, dass länger und nicht kürzer gearbeitet wird. Und ein gewaltiges Technologieniveau, das Asien erreicht hat. Bei uns wird immer nur darüber geredet, dass China mit diesen Technologien Bürger ausspioniert und überwacht. Aber wir übersehen, dass sie in vielen Bereichen Produkte erzeugen, die überlegen sind. Nehmen Sie nur ihre E-Autos. Die rollen jetzt auf die Weltmärkte und stellen Europas Autoindustrie vor große Probleme.
In Österreich beginnt der Wahlkampf und es gibt heftige Debatten um unser Steuersystem und die Entlastung des Faktors Arbeit. SPÖ und Grüne fordern Vermögens- und Erbschaftssteuern zur Gegenfinanzierung. Ist das ein möglicher Weg? In Wahrheit ist es ein Nebenschauplatz, der aber einer fatalen Logik folgt. In Europa hat sich der Glaube an einen Wohlstand ohne Leistung festgesetzt. Das kann aber nicht funktionieren. Und jetzt will man jene, die etwas leisten, noch mehr belasten. Dabei gab es gute Gründe, warum ausgerechnet ein Sozialdemokrat (Finanzminister Ferdinand Lacina, Anm.) die Vermögensteuer in den 1990er-Jahren abgeschafft hat. Der Aufwand für die Einhebung ist enorm, und die daraus zu schöpfenden Einnahmen sind gering. Damals gab es mit Lacina noch "g'scheite" Sozialdemokraten. Auch Kanzler Bruno Kreisky hatte seinerzeit die Werte Bildung, Aufstieg und Wohlstand propagiert. Was die SPÖ heute ausruft, ist aber eine derartige Themenverfehlung, dass ich nur den Kopf schütteln kann.
Die Vermögen im Land sind aber ungleich verteilt und wenige haben immer mehr vom Kuchen. Tatsächlich zeigt eine aktuelle EZB-Studie, dass die Vermögensungleichheit in Österreich seit 2011 gesunken ist. Was würde passieren, wenn eine solche Steuer kommt? Geld ist unglaublich flüchtig und sehr schnell transferierbar. Das wäre eine strategische Deindustrialisierung. Jobs würden zerstört, Investitionen zurückgefahren und Vermögen verlagert. Auch im Mittelalter waren die Ritterburgen sichtbar, doch es gab Fluchtburgen.
Würden Sie auch eine solche Fluchtburg aufsuchen? Ich würde vorsorgen, aber werde nicht aufgeben. Ich kämpfe als österreichischer Unternehmer bis zum Schluss und habe auch Hoffnung, dass sich für derartige Pläne keine Mehrheit im Land findet.
Das Argument, dass Vermögende mehr zum Gemeinwesen beitragen sollten, überzeugt Sie gar nicht? KTM beschäftigt rund 5200 Mitarbeiter. Allein die Lohnnebenkosten, die Arbeitgeber und -nehmer zahlen, betragen pro Mitarbeiter und Jahr in Summe rund 30.000 Euro. KTM erwirtschaftet mit seinen Mitarbeitern jährlich rund 150 Millionen Euro an Steuer- und Sozialabgaben. Ich habe diese Unternehmensgruppe in 32 Jahren aufgebaut. Wenn jetzt eine Erbschaftssteuer käme, würde das keine Gerechtigkeit schaffen und unter Umständen vorher zu einer Veräußerung führen. Es braucht auch keine zusätzliche Steuer, weil die Einnahmen des Staates so hoch sind wie noch nie. Dringend nötig wäre aber ein gesellschaftliches Umdenken. Wir müssen mehr leisten und arbeiten, um unseren Wohlstand zu wahren. Viele Betriebe stehen unter Wasser, weil sie die Kostensteigerungen kaum noch stemmen können. Doch in Österreich debattieren wir über eine 32-Stunden-Woche. Wie kann man auf eine solche Idee kommen? Wir wollen Wohlstand ohne Leistung. Doch das würde in einem Albtraum enden. Betriebe würden geschwächt und die Menschen erst recht keinen Wohlstand und Vermögen aufbauen können.
Aber die Betriebe haben bis vor Kurzem gut verdient. Auch Ihr Konzern machte 2022 über 200 Mill. Euro Gewinn. Die Industrie ist 2023 in eine tiefe Rezession gerutscht, und sie wird heuer weiter schrumpfen, auch wenn Wirtschaftsforscher anderes vorhersagen. Unsere Energiekosten sind massiv gestiegen, die Personalkosten binnen zwei Jahren sogar um 20 Prozent. Die Menschen haben zwar mehr Netto vom Brutto, leiden aber auch unter den schlechten Rahmenbedingungen und werden eher sparen als konsumieren. Das kann ich auch verstehen, weil Energie, das tägliche Leben oder die Mieten erheblich teurer geworden sind. Die hohen Lohnabschlüsse verschlechtern jetzt aber die Situation der Betriebe weiter, was uns in eine Lohn-Preis-Spirale führt, die die Teuerung deutlich höher als in der EU halten wird. Ich verstehe nicht, warum die Gewerkschaft nicht realisiert, welche Folgen das auslöst. Nirgends steigen die Lohnstückkosten so stark wie in Österreich. Wir preisen unsere Betriebe gerade aus den internationalen Märkten hinaus. Die Situation ist sehr ernst. Als in der Schweiz vor knapp zehn Jahren der Franken plötzlich massiv aufgewertet hat, verteuerte das die Arbeitskosten der Schweizer Betriebe auch schlagartig um über zehn Prozent. Damals einigten sich Unternehmen mit den Belegschaften, dass die wöchentliche Arbeitszeit freiwillig um 1,5 bis zwei Wochenstunden erhöht wird. Das war ein wichtiger Schritt aus der Krise. Wenn man Derartiges in Österreich fordert, würde man aber großes Unverständnis ernten.
Ihr Konzern hat angekündigt, Produktionsteile nach Indien zu verlagern. Drohen weitere derartige Schritte? Die kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen bedeuten bei KTM eine Kostensteigerung von 34 Millionen Euro. Die Unternehmensführung muss hier Maßnahmen setzen, um die Kostensteigerungen abzufedern. Jedes international tätige Unternehmen macht das. Nur reden die halt nicht darüber. Am schwierigsten ist es für die vielen Klein- und Mittelbetriebe, die keine Möglichkeit einer globalen Verlagerung besitzen.
Was müsste geschehen? Wir müssen jene belohnen, die mehr leisten wollen. Wer Vollzeit arbeitet, sollte einen Bonus bekommen. Wer Überstunden macht, dafür keine Steuer zahlen. Auch Pensionisten sollen steuerfrei arbeiten dürfen. Die Lohnnebenkosten müssen nach unten, auch Investitionsprämien könnten für einen Schub sorgen. Dazu ersticken wir in Vorschriften. Das ist beim Green Deal der EU so und auch beim geplanten Lieferkettengesetz. Dabei wären Anreize statt Vorschriften der klügere Weg, auch in der Klimapolitik.
Stichwort Lohnnebenkosten: Die ÖVP hat jüngst Vorschläge in diese Richtung gemacht. Die Richtung stimmt, aber das sind zu kleine Schritte. In der aktuellen Regierung herrscht Stillstand. Ich sehe nicht, dass der Ernst der Lage erkannt wird.
Sie werden also nicht mehr für die ÖVP spenden? Ich habe nie für die ÖVP gespendet. Ich hatte 2017 den Glauben, dass der junge Sebastian Kurz eine Wende in die richtige Richtung schaffen könnte. Deshalb habe ich ihn finanziell unterstützt. Aber das hat, wie wir alle wissen, nicht funktioniert. Jetzt habe ich die Hoffnung auf eine "Weltrettung" aufgegeben und konzentriere meine Energie auf meine Unternehmensgruppe mit mittlerweile 110.000 Mitarbeitern und versuche als Präsident der Industriellenvereinigung in Oberösterreich, unseren Mitgliedsbetrieben eine Stimme zu geben. Ich habe die Hoffnung, dass das Land zusammenrückt und gemeinsam nach Lösungen sucht. Spätestens dann, wenn es wirklich hart wird, wenn mehr Arbeitsplätze verschwinden und Betriebe zusperren, wird ein Zwang zum Umdenken entstehen. Wir müssen handeln, bevor unsere Sozialsysteme zu bröckeln beginnen.
Demnächst könnten Sie wieder in einen U-Ausschuss geladen werden. FPÖ und SPÖ fordern die Rückzahlung von Covid-Zuschüssen von Großkonzernen. In Ihrem Fall waren es elf Millionen Euro, obwohl Sie Dividenden ausgeschüttet haben. Der Betrag war kein Covid-Zuschuss, sondern die gesetzte Kurzarbeitsunterstützung im ersten Halbjahr 2020. Nachdem es uns gelungen ist, im zweiten Halbjahr trotz globaler Lockdowns ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr 2020 zu verzeichnen, haben wir unseren Mitarbeitern dies in Form einer steuerfreien Covid-Prämie (3000 Euro pro Mitarbeiter, Anm.) ausbezahlt.