"Österreich ist nicht betroffen." Diese beruhigende Nachricht kam am Mittwoch aus dem Klima- und Energieministerium, nachdem zuvor bekannt geworden war, dass Russland kein Erdgas mehr an Polen und Bulgarien liefert. Die beiden Länder sind tatsächlich Spezialfälle. Dennoch sehen Experten es als Zeichen, dass Moskau weiter die Abhängigkeit Europas von russischer Energie ausnützt. Die Gaspreise sind nach der Ankündigung sofort um 17 Prozent hinaufgeschnellt und liegen wieder über 100 Euro. Die Unsicherheit, welches Land als Nächstes betroffen sein könnte, sei durchaus im Interesse des Kremls, sagt Carola Millgramm, Leiterin des Gasbereichs in der E-Control. Spannend werde es wieder Ende Mai, wenn die nächsten Gaszahlungen fällig würden. "Wer weiß, was da noch kommt", warnt die Expertin.
Österreich könnte russisches Gas bei einem plötzlichen Lieferstopp - anders als Polen - kurzfristig nicht voll ersetzen. Die heimischen Gasspeicher sind zwar wieder zu 18 Prozent gefüllt, verglichen mit 14 Prozent Ende März. Um über den Winter zu kommen, braucht es aber viel mehr. Haushalte, Kraftwerke und etwa Krankenhäuser sind durch Notfallpläne zur Energielenkung abgesichert. Um auch die Unternehmen voll versorgen zu können, fehlen hierzulande aber Alternativen wie Flüssiggas-Terminals. Und Nachbarländer wie Italien oder Deutschland suchen selbst dringend Ersatz.
Der Ministerrat hat am Mittwoch zur "Stärkung der Resilienz der österreichischen Wirtschaft und Bevölkerung durch Sicherstellung der Befüllung der Erdgasspeicher" beschlossen, dass die Gasspeicher bis Anfang Oktober zu 80 Prozent gefüllt sein müssen - wie das auch die EU-Kommission plant. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen Großabnehmer von Gas ab sofort auch selbst vorsorgen. In Notfällen könnte das Energieministerium auf die eingespeicherten Mengen zurückgreifen, allerdings nur gegen entsprechenden Kostenersatz. Dazu stehen bis zu 5,5 Mrd. Euro auf dem Weg einer "Budgetüberschreitungs-Ermächtigung" bereit. Bereits beschlossen ist die Anlegung einer "strategischen Gasreserve " im Ausmaß des Verbrauchs eines durchschnittlichen Jänner-Monats. Die Ausschreibung zur Beschaffung startet demnächst, budgetär sind dafür 1,6 Mrd. Euro vorgesehen.
Nach Ansicht Millgramms sind diese Ausgaben sinnvoll. Österreich sollte alle möglichen Instrumente für den Ernstfall bereithalten, um Versorger, Händler und Betriebe zu motivieren, Gasvorräte anzulegen. "Das Wichtigste ist, dass die Speicher gefüllt sind", sagt auch Florian Haslauer, Chef von E.Venture. Österreich hat mittlerweile Speicherkapazitäten von rund 90 Terawattstunden, so viel wie im Jahr verbraucht wird. Die größten Kavernen betreibt die russische Gazprom und lässt sie fast leer. Wenn die Speicher zu 50 Prozent gefüllt seien, komme Österreich über den Winter, ist der Energieberater sicher.
E.Venture hat die Alternativen zu russischem Gas für Deutschland untersucht, das jetzt stark auf Flüssiggas (LNG) aus den USA setzt und in schwimmende und mittelfristig auch fixe LNG-Terminals investiert. Bis Ende des Jahres will Berlin ein Drittel des russischen Erdgases ersetzen. Als größter Gasverbraucher in Europa könne sich Deutschland nicht nur auf die EU-Kommission verlassen, um unabhängig zu werden, sagt Haslauer, "Wenn es Deutschland nicht schafft, schafft es Europa nicht."
Wie Österreich durch "eine nationale und internationale Kraftanstrengung" zumindest ab 2027 ohne russisches Gas auskommen könnte, hat die Energieagentur im Auftrag von Klimaministerin Leonore Gewessler analysiert. Aus dem neunseitigen Papier geht hervor, dass der Gasverbrauch um ein Viertel (bis 2030 um ein Drittel) sinken und die inländische Produktion von Biogas und grünem Wasserstoff massiv ausgebaut werden müsste. "Der restliche Verbrauch an Erdgas wird über alternative Routen gedeckt", heißt es weiter - etwa aus Norwegen, wo die OMV Beteiligungen hat. Auch die Eigenproduktion von Erdgas müsste unverändert bleiben. Die dramatische Erhöhung der Gaspreise wird laut Energieagentur-Geschäftsführer Franz Angerer den Gasverbrauch senken, Und weil die Preise mittelfristig hoch bleiben würden, werde es stärkere Anreize geben, auf erneuerbare Energieträger umzusteigen.
"Wir müssen raus aus russischem Erdgas. Das ist die einzig richtige Antwort auf den russischen Angriff gegen die Ukraine. Dabei können wir nicht ignorieren, dass dieser Ausstieg nicht von heute auf morgen gelingen wird", sagte Gewessler am Mittwoch. "Jede Gastherme, die wir tauschen, macht uns unabhängiger."
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, die Kommission werde die Verbraucher vor den Folgen eines russischen Lieferstopps schützen. Gleichzeitig arbeite man weiter daran, alternative Lieferungen zu sichern. "Die Ära von russischen Brennstoffen in Europa endet", so von der Leyen.
