Drei Stunden stand der Nightjet von Hamburg nach Wien vor zwei Wochen in Passau. Der Lokführer hatte aufgrund anderer Verspätungen seine maximal erlaubte Fahrzeit erreicht, ein Ersatz musste her. Die Geschichte ist kein Einzelfall. Das marode Schienennetz in Deutschland, Baustellen in Italien oder Frankreich, technische Defekte bei dem mehrheitlich alten Zugmaterial und auch Unwetter sorgen mit großer Regelmäßigkeit für Verspätungen oder Komplettausfälle im rasch gewachsenen Nachtzugnetz der Österreichischen Bundesbahnen. Und für Ärger bei Passagieren und mittlerweile der Staatsbahn selbst.
Bei der Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte (apf), die für Schadenersatzfälle zuständig ist, die von den Bahnunternehmen nicht fristgerecht oder nicht zur Zufriedenheit erledigt werden, häufen sich Schlichtungsverfahren in Zusammenhang mit Zugfahrten durch die Nacht. 2023 waren es rund 100, heuer deuten die bisherigen Zahlen auf die Hälfte mehr hin. Jedes zehnte Schlichtungsverfahren habe bereits einen Nachtzugkonnex, heißt es aus der apf, was auch die Entschädigungssummen steigen lässt. Ein Zeichen, dass das ÖBB-Beschwerdemanagement überfordert ist.
Dabei gelten die Nightjets als Zugpferd der ÖBB schlechthin, seit das Geschäft wieder auf- und ausgebaut wurde. Romantisch nach Paris oder Rom reisen, Geld für eine Nacht im Hotel sparen und klimafreundlich unterwegs zu sein, das zieht neue Kundenschichten an. Das Streckennetz ist mittlerweile auf 21 Linien angewachsen, nicht alle werden täglich bedient.
Wobei zum Erstaunen mancher Reisender in den Nachtzügen - abgesehen vom Lokführer - kein ÖBB-Personal tätig ist. Ähnlich wie im Speisewagen erledigt das ein spezialisiertes Unternehmen. Konkret ist es Newrest Austria, eine Tochter des gleichnamigen französischen Caterers, zu dem seit 2010 die Traditionsfirma Wagon-Lits gehört. Der aktuelle Vertrag läuft seit 2022 und bis maximal 2029.
Auf Störungen im Betriebsablauf sind viele Fahrgäste nicht vorbereitet - schon gar nicht, wenn sie für ihr Schlafwagenticket viel mehr bezahlt haben als für einen Flug in dieselbe Destination. Wegen der großen Nachfrage, vor allem nach Schlafwagenplätzen, gilt "Dynamic Pricing": Sobald ein Zug stark gebucht ist, werden die Tickets massiv teurer. Eine Fahrt nach Paris zu zweit im Schlafwagen nächste Woche kostet knapp 600 Euro - Rückfahrt exklusive.
Die ÖBB räumen ein, dass das System "an der Komplexitätsgrenze angelangt" sei. Gefahren wird in Doppeltraktion, auf der Strecke werden die Nachtzüge geteilt bzw. neu kombiniert. Einige sind vier Tage unterwegs, bevor sie wieder in Wien ankommen. Dazwischen bedienen sie Verbindungen wie Berlin-Brüssel. Geht unterwegs etwas kaputt, kann die Reparatur dauern, denn Werkstätten gibt es dort nicht.
Mit den neuen Nightjets, von denen 13 Stück - nach Lieferverzögerungen bei Siemens - nun im Einsatz sind, sollte das System stabiler werden, sagt Sprecher Bernhard Rieder. 20 weitere werden schrittweise ausgeliefert. Die nächsten kommen im zweiten Quartal zum Einsatz Richtung Amsterdam. Bis dahin sollte auch die Zulassung da sein. Bisher dürfen die neuen Züge außerhalb Österreichs nur in Deutschland und Italien fahren.
Anders als die alten bestehen sie nicht aus Einzelwagen, sondern sind, wie heute üblich, Ganzzüge. Das mache sie weniger fehleranfällig, betont Rieder. Muss allerdings etwas repariert werden, trifft es den ganzen Zug. Die Kinderkrankheiten wie spontan angehende Lichter im Abteil sind laut ÖBB teils behoben.
Neue Nachtzugziele stehen aktuell nicht auf dem Programm. "Für uns ist das Streckennetz von der Größe her abgedeckt", sagt Rieder. Es gehe darum, das System zu vereinfachen und verlässlicher zu werden. Außerdem sei das Nachtzuggeschäft finanziell nicht so einträglich. In guten Jahren sei es natürlich kostendeckend, aufgrund der Verspätungen seien zuletzt aber auch hohe Kosten angefallen.
Rechnen kann sich das Nachtzuggeschäft nur mit öffentlicher Unterstützung. "Die Bestellung von Nachtzügen ist in Österreich seit Langem gute Praxis", heißt es aus dem Klimaministerium. Sie erfüllten eine wichtige Funktion als Tagesrandverbindungen, zudem sei eine Unterstützung aufgrund der fehlenden Kostenwahrheit im Flugverkehr angebracht. Auch die Partnerländer übernehmen heute laut ÖBB einen Teil der Kosten, "anders wäre es nicht zu machen".