Der Herbst hat unübersehbar Einzug gehalten. Man merkt es aber nicht nur an fallenden Blättern und Erntedankveranstaltungen. Auch die Gewerkschaften wollen für die Beschäftigten der diversen Berufsgruppen für erzielte Unternehmensgewinne eine gute Ernte in Form höherer Löhne einfahren. Der Herbst bildet den Auftakt für die Lohnverhandlungen großer Berufsgruppen, eine zweite Runde findet im Frühjahr statt. Dieser Tage beginnen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter um Löhne, Gehälter, Überstundenzuschläge und Urlaubstage zu feilschen.
Die Verhandlungen dürften heuer kaum einfacher ausfallen als in den Vorjahren. Denn die Kostenbelastung für die Menschen sei nicht geringer geworden, sondern weiter gestiegen - wenn auch etwas moderater, sagt Roman Hebenstreit, der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Vida. Er fordert "eine Abgeltung der rollierenden Teuerung und die Abgeltung von gesteigerten Arbeitsbelastungen". Das würde belastende Berufe attraktiver machen, damit könnte der Personalbedarf in Zukunft besser gedeckt werden, stellt Hebenstreit zum Auftakt der diesjährigen Herbstlohnrunde klar.
Mit dem Abdecken der rollierenden Inflation - des Durchschnitts der zwölf zurückliegenden monatlichen Inflationsraten - allein sei es nicht getan. "Es muss Lohnerhöhungen über der rollierenden Inflation geben, auch um die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter stabil zu halten beziehungsweise zu stärken." Hier gebe es in einigen Branchen mit Einstiegslöhnen um 2000 Euro brutto monatlich angesichts der in den vergangenen zweieinhalb Jahren massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten deutlich Aufholbedarf. Denn trotz rückläufiger Inflationsraten seien "die Kosten für Mieten, Lebensmittel, Versicherungen und Freizeit trotz gesunkener Energiepreise weiter gestiegen", betont der Vorsitzende der Teilgewerkschaft.
In diesem Jahr ist es ausnahmsweise nicht die viel beachtete Metallindustrie, die den Anfang bei der Herbstlohnrunde macht. In dieser Sparte mit rund 200.000 Beschäftigten haben sich die Sozialpartner im Vorjahr erstmals auf einen zweijährigen Kollektivvertrag (KV) geeinigt. Im Vorjahr stiegen Ist-Löhne und -Gehälter um 10 Prozent, die Mindestlöhne um 8,5 Prozent. Für die nächste KV-Periode (per 1. November) sieht der Abschluss eine Lohnerhöhung von einem Prozentpunkt über der rollierenden Inflation vor. Deren Wert wird offiziell mit dem 18. Oktober ermittelt, dem Freitag nächster Woche.
Damit erfolgt der Startschuss zur Herbstlohnrunde am Dienstag (8. Oktober) mit den Lohnverhandlungen für 54.000 Beschäftigte in der Reinigungsbranche. Zwei Drittel der Beschäftigten hier sind Frauen, meist mit Migrationshintergrund, viele arbeiten in Teilzeit. In dieser systemrelevanten Tätigkeit müsse sich Leistung lohnen, sagt die stellvertretende Vida-Vorsitzende Olivia Janisch. Mit einem Einstiegsgehalt von 2000 Euro brutto für 40 Stunden - Frauen verdienen 11,73 Euro brutto pro Stunde, Männer 15,01 Euro - sei es eine Niedriglohnbranche. Deshalb und wegen gestiegener Arbeitsbelastung müsse die Kaufkraft deutlich gestärkt werden.
Die Gewerkschaft setzt sich für mehr Einsätze tagsüber ein, um geteilte Dienste zu Tagesrandzeiten zu verringern. Jedes zweite Wochenende soll garantiert frei sein und Dienstpläne müssten rechtzeitig bekannt gegeben und auch eingehalten werden - bei Nichteinhaltung fordert die Gewerkschaft einen Überstundenzuschlag in Höhe von 50 Prozent als Entschädigung.
Zwei wichtige und große Berufsgruppen steigen Ende Oktober in die KV-Verhandlungen ein, konkret am 23. Oktober. Das sind zum einen die rund 430.000 Angestellten im Handel, die zahlenmäßig größte Berufsgruppe des Landes, und 55.000 Eisenbahner. Am 25. November starten die Lohnverhandlungen für gut 150.000 Arbeiterinnen und Arbeiter im Handel. Hier geht es um Personal im Lager, in Kühlräumen oder Staplerfahrer. Unternehmen könnten dem Arbeitskräftemangel mit höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen gegensteuern. "Belastungen müssen reduziert werden", fordert Janisch.
Mit 4,5 Millionen Überstunden und mehr als 400.000 nicht konsumierten Resturlaubstagen sei der Fachkräftemangel bei den heimischen Eisenbahnunternehmen besonders eklatant, stellt Gerhard Tauchner fest, der Vorsitzende des Vida-Fachbereichs Eisenbahn. Dieser Mangel macht sich "inzwischen zunehmend durch Verspätungen und Zugausfälle bemerkbar". Ein Abschluss müsse über der durchschnittlichen Inflation liegen, sagt Tauchner, der "Einsicht bei den Unternehmen" erwartet. Mit Eskalationen rechne er nicht. Allerdings habe man den 24-Stunden-Streik im November 2022 auch nicht gewollt, "man hat uns dazu gezwungen". Grundsätzlich peile man einen einjährigen Abschluss an. Ende 2022 hatte man sich auf einen zweijährigen KV geeinigt, daher gab es im Vorjahr keine Verhandlungen.
Im November starten die Lohnverhandlungen für 50.000 Personen in der Güterbeförderung, meist Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen, der Frauenanteil liegt bei 14 Prozent. Mehr als ein Fünftel geht in den nächsten Jahren in Pension. Um die benötigten Arbeitskräfte zu bekommen, braucht es aus Sicht der Vida - wie auch bei den Busfahrern - bessere Arbeitsbedingungen.
