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Wirtschaftsminister Martin Kocher im Interview: "Der nächste Aufschwung wird ein stärkerer sein"

Die Kosten für die Bildungskarenz sind von 500 auf fast 700 Mill. Euro gestiegen. Bei einem Gesamtbudget von 1,4 Mrd. für aktive Arbeitsmarktpolitik Geld, das anderswo effizienter eingesetzt wäre, sagt Minister Kocher. Er zieht Bilanz seiner Regierungszeit.

Noch- Wirtschaftsminister Martin Kocher während seiner China-Reise im Oktober.
Noch- Wirtschaftsminister Martin Kocher während seiner China-Reise im Oktober.

Ihre Regierungszeit hat turbulent begonnen, als Sie 2021 die wegen Plagiatsvorwürfen abgetretene Arbeitsministerin Christine Aschbacher ersetzten und später das Wirtschaftsressort von Margarete Schramböck übernahmen. Zuletzt sorgte Ihr geplanter Wechsel in die Nationalbank für Wirbel. Wie fällt Ihre Bilanz dazwischen aus? Martin Kocher: Das Ziel war nicht, dass über mich gesprochen wird, sondern inhaltlich etwas zu erreichen. Ich glaube, dass wir viel weitergebracht haben. Am Arbeitsmarkt hat es Reformen gegeben, zwar nicht die angestrebte große Arbeitslosenversicherungsreform, aber im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist viel passiert. Wir hatten in den Jahren 2022, 2023 und 2024 das jeweils höchste Budget für aktive Arbeitsmarktpolitik und konnten die Mittel dahin kanalisieren, wo sie gebraucht werden. Ein Beispiel: Wir haben dieses und nächstes Jahr je 75 Mill. Euro für die Integration von vor allem jungen Migrantinnen und Migranten am Arbeitsmarkt. Um den Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, dass es viel zu lang dauert, bis sie in den Arbeitsmarkt kommen, gibt es Jugendcolleges, eine Form der Intensivvorbereitung mit Deutschkursen, parallel dazu aber schon Arbeitsmarktvorbereitung und das Nachholen von Pflichtschulabschlüssen. Das ist nur eines der Beispiele. Die gut dotierte Arbeitsmarktpolitik war auch ein Grund dafür, dass die Arbeitslosigkeit angesichts der konjunkturellen Lage nicht so stark gestiegen ist, wie das noch in Rezessionszeiten vor zehn oder zwanzig Jahren der Fall war.

Ihr Schwerpunkt war stets der Fachkräftemangel. Ist nicht steigende Arbeitslosigkeit mittlerweile das größere Thema? Natürlich lag der Fokus zuletzt darauf, arbeitslose Personen schnell zu vermitteln. Das darf uns aber nicht davon abhalten, Vorbereitungen zu treffen, damit wir für den nächsten Aufschwung gewappnet sind. Deshalb die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte. Prinzipiell werden wir in den kommenden Jahren mehr mit Fachkräftebedarf zu tun haben als mit Arbeitslosigkeit. Die aktive Arbeitsmarktpolitik - also Integration in den Arbeitsmarkt, Weiterbildung oder Wiedereingliederung - ist auch in Zukunft zwar für eine kleinere Gruppe wichtig, damit aber umso herausfordernder.

Sie wollten ein degressives Arbeitslosengeld und Einschränkungen beim Zuverdienst. Woran ist das gescheitert? Studien zeigen, dass sich durch den
Parallelbezug von Arbeitslosengeld
und geringfügigem Zuverdienst die
Arbeitslosigkeit verlängert. Natürlich gibt es einschränkende Regeln,
aber wenn es ökonomisch reizvoller ist, einen Job nicht anzunehmen,
tut sich das AMS schwer, jemanden
dazu zu bewegen. Besser ist es, wenn es einen finanziellen Anreiz gibt. Der zweite Ansatz war, dass wir durch ein degressives Arbeitslosengeld die Betroffenen zu Beginn der Arbeitslosigkeit besser absichern und dann den Bezug über die Zeit absenken, das führt idealerweise auch dazu, dass schneller offene Stellen angenommen werden. Mit dem Koalitionspartner gab es da leider keine Einigung. Ich gehe aber davon aus, dass Teile der Reform, wenn nicht ein Großteil, in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden. Ein Teil wurde schon umgesetzt, etwa dass Arbeitslose, die langfristig eine Weiterbildung machen, durch den Schulungszuschlag neu besser finanziell abgesichert sind. Auch das Pflegestipendium ist ein Beispiel.

Bisher nicht umgesetzt ist die Reform der heftig kritisierten Bildungskarenz. Rechnungshof und Wirtschaftsforschungsinstitute haben gefordert, die Bildungskarenz treffsicherer zu machen. Im Nachhinein betrachtet war nicht alles, was hier ermöglicht wurde, gut. Mit den Sozialpartnern haben wir ein Reformpaket ausgearbeitet: Da geht es darum, dass es verpflichtende Beratung vor einer Bildungskarenz gibt, dass bei den ECTS-Punkten, die man erreichen muss, mehr verlangt wird, aber auch darum, klarer zu definieren, was als berufliche Fortbildung gilt. Und es müssen weniger qualifizierte Personen, die es besonders brauchen, eine bessere Chance auf Bildungskarenz bekommen. Bisher berechnet sich der Betrag je nach Höhe des Arbeitslosengeldanspruchs. All das würde die Treffsicherheit erhöhen und zu einer besseren Finanzierbarkeit führen. Letztlich ist es eine Abwägungsfrage: Die Bildungskarenz wird aus den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen bezahlt. Heuer sind Kosten von über 650 Mill. Euro für die Bildungskarenz prognostiziert und ein gesamtes Budget für die aktive Arbeitsmarktpolitik - also Eingliederungsbeihilfe, Fortbildung oder Arbeitsmarktintegration - von 1,4 Mrd. Euro. Da muss man schon abwägen: Wie werden die Mittel für Arbeitsmarktpolitik ausgegeben, was ist effizient und effektiv. Da sind die 1,4 Mrd. Euro für die aktive Arbeitsmarktpolitik sicher besser eingesetzt als die bald 700 Mill. für die Bildungskarenz.

Österreichs Wirtschaft steckt in der Krise. Aus Sicht des früheren Wirtschaftsforschers: Wie schlimm ist es? Man muss differenzieren. Die wenig dynamische konjunkturelle Lage in Europa bereitet vielen Unternehmen Schwierigkeiten und dauert zu lang an. Das liegt aber daran, dass wir weltweit derzeit wirtschaftlich wenig Dynamik sehen, was vor allem die Industrie stark trifft, aber auch den Handel und andere Bereiche. Aber diese konjunkturelle Lage wird sich wieder bessern. Die hohe Sparquote, die wir derzeit sehen, ist ein Vorzeichen, dass der nächste Aufschwung ein stärkerer wird. Die andere Seite ist die strukturelle Komponente. Hier gibt es Herausforderungen: Die Energie- und Bürokratiekosten sind in Europa zu hoch und wir haben eine alternde Gesellschaft mit weniger Arbeitskräftepotenzial im Inland. Im Moment werden beide Aspekte - die konjunkturelle und strukturelle Komponente - in der Diskussion oft vermischt. Wichtig ist, nicht aus einem Übereifer heraus kurzfristige teure Maßnahmen zu setzen, die wenig bringen, weil die Leute derzeit mehr sparen und die Weltwirtschaft nicht so gut läuft, und gleichzeitig strukturelle Verbesserungen zu vernachlässigen. Es wäre richtig, sich auf strukturelle Maßnahmen zu konzentrieren, damit wir in fünf Jahren besser dastehen. Natürlich gibt es bis dahin konjunkturelle Begleitmaßnahmen, wie das Bau- und Wohnpaket der Regierung, aber die müssen zielgerichtet sein. Ein großes Konjunkturpaket mit der Gießkanne wäre aktuell wenig sinnvoll.

Wirtschaftsforscher fordern von der Politik schon lang Reformen, die Regierung hat das höhere Budgetdefizit erst nach der Wahl eingeräumt. Hat man zu lang über den Ernst der Lage hinweggetäuscht? Dass die Budgetlage angespannt ist,
war bekannt. Der Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaftsforscher ihre Prognosen vorlegen, ist vorgegeben. Erst dann kann man abschätzen, wie hoch angesichts des erwarteten Wirtschaftswachstums das Defizit ausfällt. Allerdings hat sich noch einmal klar gezeigt, dass Handlungsbedarf besteht. Dazusagen muss man, dass die aus meiner Sicht sehr sinnvolle Abschaffung der kalten Progression und die Valorisierung vieler Familien- und Sozialleistungen einen Paradigmenwechsel in der Budgetpolitik mit sich gebracht haben. Den finanziellen Spielraum, den man als Regierung früher automatisch über die Inflation bekommen hat, gibt es heute nicht mehr. Das heißt, man muss bei jedem Budget drauf schauen: Was braucht es, was nicht mehr und wo kann man effizienter werden. Die Gegenfinanzierung für gewünschte Maßnahmen muss man sich jetzt jedes Jahr neu schaffen.

Ihre letzte große Dienstreise führte nach China. Hat China Europa technologisch überholt? Nein, natürlich nicht. Es gibt Bereiche, wo China aufgeholt hat und wo die Größe des Marktes ein Vorteil ist. Aber wenn man sich das Pro-Kopf-Einkommen anschaut, konzentriert sich der Wohlstand in China auf wenige Städte und Regionen und ist noch weit von dem europäischer Staaten entfernt. Gleichzeitig ist es wichtig anzuerkennen, dass China in einigen Bereichen mittlerweile sehr gute Produkte produziert und weltweit wettbewerbsfähig ist.

Bei den Strafzöllen drängen Sie auf Verhandlungen. Braucht Europas Industrie nicht Schutz vor unfairem Wettbewerb? Es geht um beides: Es muss global faire Wettbewerbsbedingungen geben, das gilt für alle, auch für China. Wenn es gegen die Welthandelsordnung Verstöße gibt, müssen diese korrigiert werden. Aber wir müssen
schauen, dass wir miteinander reden und es nicht zu einer Eskalation
bei Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen kommt. Das würde alle Beteiligten negativ beeinflussen. Und es würde für Konsumentinnen und Konsumenten unnötige Preiserhöhungen bringen.

Sie gelten als Vielarbeiter, aber auch als ausgeglichener Mensch. Grantig werden Sie offenbar nur, wenn Sie nicht zum Laufen kommen. (lacht) Merkt man das? Nein, das stimmt nicht. Ich versuche, einen Ausgleich zu langen Arbeitstagen zu finden, da ist Laufen eine gute Möglichkeit, wie auch alles andere, was man im Freien machen kann, sei es Bergsteigen oder Skifahren. Das ist im Moment zeitlich nicht so umfangreich möglich. Ich versuche aber generell, negative Emotionen, die man nun einmal hat, nicht Personen spüren zu lassen, die nichts dafürkönnen. Grantig zu sein ist so eine Emotion, die ich nicht auszuleben versuche.

Martin Kocher (51) ist nicht nur Marathonläufer, auch beruflich legte er einen weiten Weg zurück: Aufgewachsen ist er in Altenmarkt im Pongau als Sohn eines Skilehrerehepaars. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Innsbruck und einer internationalen Universitätslaufbahn wurde er 2016 Chef des IHS. Nach dem Ausflug in die Politik wechselt er 2025 als Gouverneur an die Spitze der Nationalbank.

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