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Wienerberger-Chef Heimo Scheuch im Interview: Ziegel ist wieder im Kommen

Wienerberger hat erstmals ein Haus zu 100 Prozent mittels Roboter gebaut. An der Industriepolitik lässt Konzernchef Heimo Scheuch kein gutes Haar.

Heimo Scheuch steht seit 15 Jahren an der Spitze von Wienerberger.
Heimo Scheuch steht seit 15 Jahren an der Spitze von Wienerberger.

Neue Werkstoffe, andere Energiequellen, Effizienz und Automatisierung: Der Traditionskonzern Wienerberger setzt auf Innovation.

Sie kritisieren die EU-Energietransformation als eine Ho-ruck-Politik, die ihresgleichen sucht und die ganze Wirtschaft gefährdet. Warum? Heimo Scheuch: Weil sie nicht durchdacht ist. In Österreich und Europa müssen wir dringend über die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie und die Zukunft des Standorts sprechen. Stattdessen führen wir fast schon eine sektenartige Diskussion über die energetische Transformation. Wer einen schrittweisen Ansatz vorschlägt, wird schnell zum Buhmann erklärt.
Jetzt verlieren Tausende Menschen ihre Arbeit und wir bekommen soziale Probleme. Wir sollten darüber reden, wie man den Standort stärken und die industrielle Abwanderung verhindern kann. Jedes Unternehmen, das Europa verlässt, kommt nicht mehr zurück. Wir haben unseren Wohlstand, die Demokratie, die EU, alles auf dem starken industriellen Rückgrat Europas aufgebaut. Wollen wir all das aufs Spiel setzen? Wir stehen bereits vor einem erheblichen Scherbenhaufen, und die Politik scheint überfordert. Selbst bei den Koalitionsgesprächen wird dieses Thema nicht ausreichend in den Vordergrund gerückt. Das ist ein schwerer Fehler.

Könnten Sie nicht einfach weggehen aus Europa? Nein, das ist nicht unser Ansatz. Ich plädiere für einen konstruktiven Dialog, solange es möglich ist. Aber wenn auch die neue Regierung den Industriestandort Europa nicht in den Fokus rückt, verlieren wir erneut fünf bis sechs Jahre - mit der Folge eines schleichenden, progressiven Abwanderns. Unternehmen wie wir produzieren lokal. Der Schritt aus der EU heraus ist geografisch gesehen nicht weit. In diesen Ländern spielen Energiepreise keine vergleichbare Rolle; dort stehen Arbeitsplätze, Wertschöpfung, Bildung und Sicherheit im Vordergrund. Europa scheint diesen Fokus zunehmend zu verlieren. Wir sind hier auf Abwege geraten.

Sie haben Ihr erstes "grünes" Ziegelwerk in Oberösterreich gestartet, mit 90 Prozent weniger Emissionen und einem Drittel weniger Energieverbrauch. Ist das das Zukunftsmodell? Wichtig ist, dass ein Unternehmen in die Zukunft investiert und verschiedene Technologien testet. Das tut Wienerberger. Einige unserer mehr als 230 Standorte - nicht alle für Ziegel - arbeiten schon mit Elektrizität und ohne fossile Energieträger. Wichtig ist, den Energieeinsatz pro produzierte Tonne zu senken. Das gelingt uns durch Investitionen und viele kleine technologische Schritte in unseren Werken.
Der CO2-Ausstoß des gesamten Wienerberger-Konzerns ist ein Viertel der Voestalpine in Linz. Die Energieintensität ist also gar nicht so groß. Das Beispiel Uttendorf in Oberösterreich heißt nicht, dass alle Werke diese Technologie des industriellen Elektroofens verwenden werden. In England oder den Niederlanden werden wir Wasserstoff verwenden, in anderen Ländern mehr Biogas. Wir sind auf einer Transformationsreise, wo wir noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben.

Wie groß ist der Anteil dieser Werke an der Produktion bisher? Mein Ansatz ist ein anderer: Über Produktentwicklungen kann man viel mehr erreichen, etwa durch das Senken der Brenntemperaturen, beispielsweise mit Lehmziegeln. Für den Standort Österreich wäre es zudem wichtig, eine klare Biogasstrategie zu verfolgen. Dänemark zeigt, wie es geht: Dort werden bereits 50 Prozent Biogas ins Erdgasnetz eingespeist - ein großartiger Erfolg. Warum setzen wir hier nicht auf ähnliche Lösungen?

Wienerberger forscht viel zu alternativen Baustoffen. In Deutschland ist es seit 2023 möglich, mehrgeschoßig mit Lehmziegeln zu bauen. Ändert sich in Österreich auch etwas? Es ist wichtig, über die Normierung und Entwicklung des Bauens nachzudenken: Lehm ist ein sehr gesunder Baustoff, der muss nicht immer gebrannt sein - gepresst würde auch reichen. Die Diskussion über Bauen muss breiter und offener werden als nur über die CO2-Bilanz.

Wie ist es in Deutschland? Der Baubereich bewegt sich langsam. Wenn man heute eine Innovation anbietet, dauert es fünf bis sechs Jahre, bis sie sich am Markt etabliert. Ein Beispiel: Wir stellen bereits seit einiger Zeit mehrere Tausend Tonnen Lehmziegel pro Jahr in einem Werk in Bayern her.

Wie schnell können Sie diese Neuerungen umsetzen? Bis 2026 wollen wir einen erheblichen Teil unseres Umsatzes mit innovativen Produkten erreichen. Aktuell sind es über 30 Prozent. Diesen Weg gehen wir sehr konsequent. Die Kreislaufwirtschaft stellt für uns weniger ein Problem der Beimischung als vielmehr der Anlieferung dar. Abbruchziegel lassen sich wirtschaftlich nur im Umkreis von 100 Kilometern transportieren. Wir könnten deutlich mehr sekundäre Rohstoffe einsetzen, wenn sie verfügbar wären - daran arbeiten wir. Gleichzeitig bin ich zuversichtlich, dass wir künftig andere Werkstoffe in unsere Prozesse integrieren können. In der Fertigungstechnologie haben wir große Fortschritte erzielt: In den vergangenen Jahren konnten wir über 200 Millionen Euro an Produktionskosten einsparen - durch effizienteren Rohstoffeinsatz, Digitalisierung, Automatisierung und optimiertes Handling.

Dennoch sinkt der Gewinn, weil die Baukonjunktur lahmt? Der Neubaumarkt liegt unter dem Niveau von 2008. Wir bewegen uns im schlechtesten Jahr seit 20 Jahren. Trotzdem werden wir heuer das drittbeste Ergebnis der Geschichte erzielen. Es sind genau die erwähnten Maßnahmen, mit denen das in einer so zyklischen Industrie gelingt. Wienerberger hat all das aus eigener Kraft erreicht - wir haben keinen Cent von außen angenommen. Nie. Ich suche keine Anerkennung, aber für uns bedeutet nachhaltiges Wirtschaften vor allem: wirtschaftlich gesund bleiben.

Im Hochbau sieht man hierzulande immer Beton. Warum? Ist das billiger? Es ist weder günstiger noch besser oder effizienter, wenn man bedenkt, wie schnell Roboter heute mit Ziegeln bauen können. Dennoch setzen viele Baukonzerne, die ihre Teams auf Betonbauweise geschult haben, diesen Ansatz konsequent fort - oft, ohne die CO₂-Bilanz zu berücksichtigen. Es wird viel über CO₂-reduzierten Beton gesprochen. Doch aktuell bleibt die Frage, wie und wann der in großem Umfang verfügbar sein wird. Ein klarer Vorteil der Ziegelbauweise liegt darin, dass Gebäude bis zu acht oder neun Geschoßen allein mit Ziegeln errichtet werden können. Für höhere Gebäude bietet sich eine Kombination aus Stahlbeton und Ziegel für die Ausfachung an. Die Marktgegebenheiten ändern sich aber nicht von heute auf morgen: Die Ziegelbauweise bleibt nach wie vor die bevorzugte Wahl für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie niedriggeschoßige Bauweisen.

Müsste man Normen ändern? Das hat nichts mit Normen zu tun, sondern mit Entscheidungen der Menschen, die Baustoffe auswählen und einsetzen. Ich kenne große Projektentwickler, sowohl in Österreich als auch international, die selbst in Betongebäuden gelebt haben und sagen: "Nie wieder."

Wird die EU-Kreislaufwirtschaft etwas bewirken? Nein, denn es geht um Leistbarkeit und um Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Es gibt auch in Österreich Bestrebungen, außerhalb der Norm zu bauen, in vielen Ländern tut man das schon.
Wirken werden eher Innovationen. Wir haben jetzt erstmals ein Einfamilienhaus in Niederösterreich zu 100 Prozent mit einem Roboter fertiggestellt. Das wird sehr schnell an Momentum gewinnen, wir werden alles bauen. Wir haben diesen Roboter gemeinsam mit einer Universität in Prag entwickelt. Wir werden verschiedenste Lösungen anbieten - sei es durch Leasing, Verkauf, gezielte Schulungen. Dies wird dazu beitragen, den Einsatz von Ziegeln deutlich zu erhöhen und gleichzeitig die Effizienz sowie die Präzision erheblich zu steigern.

Wienerberger hat dieses Jahr mit der Übernahme des französischen Dachspezialisten Terreal die größte Übernahme der Geschichte erledigt. Haben Sie weitere Pläne? Wenn es der europäischen Bauzulieferindustrie schlecht geht, muss man gezielt schauen, ob man das für kleine oder mittelgroße Übernahmen nützen soll. Wir sind heute sehr breit aufgestellt und werden in allen Bereichen weiterwachsen. Auch im Rohrgeschäft, das wir neben Ziegel aufgebaut haben - für Wassermanagement und Energie. Pipelife macht schon weit über 30 Prozent des Umsatzes aus und ist damit der größte Bereich des Konzerns. Das Ziel ist natürlich, profitabel zu wachsen. Für 2024 erwarten wir ein operatives EBITDA von knapp unter 800 Mill. Euro und einen Umsatz von rund vier Milliarden Euro.

Erdgas hat sich zuletzt wieder stark verteuert. Trifft Sie das? Wir sichern unsere Gasversorgung langfristig ab, wodurch wir kurzfristige Preisschwankungen abfedern können. Allerdings bleibt das Thema Distributionskosten ein erheblicher Faktor. Dass wir in diesem Bereich im nächsten Jahr mit Steigerungen rechnen müssen, ist absehbar.

Schmerzhaft? Wir produzieren und vertreiben lokal, was uns hilft, gewisse Herausforderungen abzufedern. Auch viele unserer Mitbewerber im Baustoffsektor stehen vor ähnlichen Problemen, sodass hier weitgehend Gleichstand herrscht. Ich sehe eher die Thematik der Leistbarkeit: Was kann sich der europäische Konsument, insbesondere junge Familien, die sich ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen möchten, überhaupt noch leisten? Wenn wir die Preise immer weiter nach oben treiben, wird es für viele unmöglich, Eigentum zu schaffen oder Wohlstand aufzubauen. Das ist ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem.
Zusätzlich stehen wir vor zunehmenden Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU, insbesondere bei den Personalkosten und den Energiekosten. Wasserstoff wird beispielsweise teurer sein als Strom oder Gas. Momentan wird dieses Thema kaum diskutiert, doch es wird uns unweigerlich einholen. Schon heute bieten uns die Engländer Wasserstoff zu Fixpreisen an, die mit Erdgas konkurrenzfähig sind. In Österreich hingegen kostet grüner Wasserstoff aktuell das Vierfache des Gaspreises.
Das führt uns wieder zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich. Leider wird in der Politik oft nur kurzfristig gedacht, anstatt solche langfristigen Herausforderungen proaktiv anzugehen.

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