In der deutschen Industrie gehen immer mehr Stellen verloren. Allein in der Autobranche wurden innerhalb eines Jahres netto rund 51.500 Jobs oder fast sieben Prozent der Arbeitsplätze abgebaut, zeigt eine Analyse der Beratungsgesellschaft EY. Keine andere Industriebranche sei so stark betroffen.
Insgesamt lag die Zahl der Industriebeschäftigten zum 30. Juni demnach bei 5,42 Millionen Menschen, das sind um 2,1 Prozent weniger als zwölf Monate zuvor. Binnen eines Jahres wurden damit etwa 114.000 Stellen gestrichen, so die Studie, die auf Daten des Statistischen Bundesamts basiert. Seit dem Vor-Corona-Jahr 2019 schrumpfte die Beschäftigtenzahl sogar um rund 245.000, ein Rückgang um 4,3 Prozent.
Zölle und China-Flaute belasten
Im zweiten Quartal sank zugleich der Umsatz der Industrie um 2,1 Prozent - das achte Minus in Folge. Bis auf die Elektroindustrie verbuchten alle Branchen Rückgänge, wie EY feststellte. In der Autobranche, die mit Absatzflaute, Konkurrenz aus China und dem Wandel zur E-Mobilität kämpft, fielen die Umsätze um 1,6 Prozent.
Die deutsche Industrie leidet nicht nur unter teurer Energie, Bürokratie und einer schwachen Binnennachfrage, sondern auch unter dem Zollstreit mit den USA. "Der massive Rückgang der Exporte in Richtung USA hat die deutsche Industrie zuletzt empfindlich getroffen", sagt Jan Brorhilker, Managing Partner bei EY.
Die von Donald Trump verhängten hohen Zölle verteuern deutsche Produkte in den USA - auch wenn die EU bei den Autozöllen ein niedrigeres Niveau erreicht hat. Zuletzt lag der Zollsatz für aus der EU in die USA eingeführte Autos bei 27,5 Prozent. Rückwirkend mit 1. August soll er nun auf 15 Prozent sinken. Rechtsverbindlich ist die in der Vorwoche veröffentlichte gemeinsame Erklärung dazu allerdings nicht. Aufs Geschäft der deutschen Autobauer drückt gleichzeitig auch der Exportrückgang nach China, das seine eigene starke Autoindustrie aufgebaut hat.
Porsche trennt sich von Batteriefabrik
Unter dem Druck haben Hersteller wie Mercedes-Benz und VW, aber auch die Zulieferer Bosch, Continental und ZF Sparprogramme angekündigt. Und Porsche trennt sich gerade von seinem Batterie-Tochterunternehmen Cellforce, 200 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. "Eine eigene Fertigung von Batteriezellen verfolgt Porsche aus Volumengründen und fehlenden Skaleneffekten nicht weiter", sagte Porsche-Chef Oliver Blume am Montag, man wolle sich auf die Entwicklung konzentrieren.
Abwärtstrend setzt sich fort
Aber nicht nur die Autobranche baut Jobs ab: Im Maschinenbau entfielen EY zufolge gut 17.000 Stellen binnen eines Jahres und in der Metallerzeugung gut 12.000. Kaum Jobs gingen dagegen in der Chemie- und Pharmabranche verloren.
Die Krise der Industrie hat längst eine Debatte über den Standort Deutschland entfacht. Kritiker sprechen von einer Deindustrialisierung. In einer längeren Betrachtung ist die Industriebeschäftigung noch gewachsen: Ende 2024 lag sie laut Statistischem Bundesamt um 3,5 Prozent oder 185.000 Menschen höher als zehn Jahre zuvor.
Schlechte Zeiten für Ingenieure
EY-Experte Brorhilker erwartet, dass sich der Abwärtstrend bei den Industriejobs fortsetzt, da sich Sparprogramme verzögert in der Statistik zeigen. Das seien schlechte Nachrichten für Schul- oder Hochschulabsolventen. "Die Automobilindustrie und der Maschinenbau stellen heute deutlich weniger junge Menschen ein als in den vergangenen Jahren." Der Arbeitsmarkt etwa für junge Ingenieure werde ungemütlich, viele dürften sich neu orientieren müssen. "Wir werden eine steigende Arbeitslosigkeit bei Hochschulabsolventen sehen - etwas, was es in Deutschland lange nicht gab."
Auch Zulieferer in Österreich pessimistisch
Die Krise in der deutschen Autoindustrie wirkt auch auf Österreich. Deutschland ist für die heimische Zulieferindustrie der wichtigste Markt. 2024 gingen in der Branche hierzulande bereits gut 5000 Jobs verloren, der Personalstand schrumpfte auf 76.900 Beschäftigte, rechneten die Zulieferer erst in der Vorwoche vor. Der Branchenumsatz der gut 900 Unternehmen sank um neun Prozent auf 28,4 Mrd. Euro. Laut AMS-Analyse zählte die Branche im heuer ersten Halbjahr bereits um 50 Prozent mehr Arbeitslose als im Vorjahreszeitraum.
Die jüngsten Hiobsbotschaften: AVL List baut in Graz 350 Stellen ab, der Spritzgießmaschinenbauer Engel mit drei Standorten in Ober- und Niederösterreich will sich von vorerst 50 Beschäftigten trennen. Wie es weitergeht? "Es zeichnet sich kein anderer Trend ab", zeigte sich vergangene Woche Dietmar Schäfer, der Vorsitzende der Arge Automotive Zulieferindustrie, wenig optimistisch.