Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Diesem Credo dürften die Verhandler der belgischen Ratspräsidentschaft bei ihrem Bestreben gefolgt sein, das Lieferkettengesetz doch noch rechtzeitig über die Bühne zu bringen, ehe wegen der bevorstehenden EU-Wahl die Zeit dafür abläuft. Nach etlichen gescheiterten Anläufen, eine qualifizierte Mehrheit im Rat der Mitgliedsstaaten zu finden, ist am Freitag bei der Sitzung der EU-Botschafter der Durchbruch gelungen.
Ursache für die langwierigen Verhandlungen war die plötzliche Blockade Deutschlands auf Bestreben der FDP, obwohl die Mitgliedsstaaten und das Parlament bereits einen Kompromiss erzielt hatten. Mehrere Staaten, darunter Österreich und Italien, sprangen auf den Zug auf. Italien lenkte am Freitag dann doch ein. Der Preis für das Zustandekommen einer Mehrheit waren jedoch deutliche Abstriche beim ursprünglich vereinbarten Gesetzestext.
Eigentlich sollten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem jährlichen Nettoumsatz jenseits von 150 Millionen Euro dazu verpflichtet werden, ihre Zulieferer zu überprüfen, ob diese auf Kinder- oder Zwangsarbeit verzichten und ihr Wirtschaften mit den Pariser Klimazielen in Einklang zu bringen ist. Der Rahmen wurde nun deutlich enger gefasst. Das Lieferkettengesetz soll künftig nur für Unternehmen schlagend werden, die mehr als 1000 Mitarbeitende beschäftigen und mehr als 450 Millionen Euro umsetzen. Die Plattform "Euractiv" berichtete unter Verweis auf Berechnungen einer niederländischen NGO, dass unionsweit noch rund 5400 Unternehmen betroffen wären. Nach dem ursprünglich von Rat und Parlament getroffenen Kompromiss wären es demnach rund 16.400 gewesen.
Die Grenze soll nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes gelten. Zunächst sollen die Schwellenwerte nach drei Jahren bei 5000 Angestellten und 1,5 Milliarden Euro Umsatz liegen, nach vier Jahren bei 4000 Mitarbeitenden und 900 Millionen Euro Umsatz. Dass für Unternehmen in Sektoren, wo das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird (zum Beispiel in der Textilindustrie), strengere Maßstäbe angelegt werden, wurde gestrichen. Das EU-Parlament wird das noch absegnen müssen, da diese Regelung deutlich von der eigentlich getroffenen Vereinbarung abweicht. Dennoch ist mit einer Zustimmung zu rechnen, denn: Besser ein verwässertes Lieferkettengesetz als keines, ist vielfach von Abgeordneten zu hören.
Obwohl im Vergleich zum Ursprungstext nur noch wenige Unternehmen von den Pflichten betroffen sein werden, hat sich Österreich bei der Abstimmung am Freitag neuerlich enthalten. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) sprach zwar von Verbesserungen, es gebe aber "immer noch zu viele Vorbehalte". Das Ministerium teile die Grundziele zum Schutz von Menschenrechten und der Umwelt. "Jedoch sind wir der Meinung, dass die Ziele der Richtlinie besser und mit viel weniger bürokratischem Aufwand für Unternehmen erreicht werden könnten."
Trotz der Aufweichungen befürchtet Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf eine "übermäßige bürokratische Belastung". Und: "Wir dürfen auch nicht die akute Gefahr unterschätzen, dass sich europäische Unternehmen aus bestimmten Drittstaaten aus Sorge vor ausufernden Haftungsrisiken zurückziehen." Georg Knill, Chef der Industriellenvereinigung, brachte seine Ablehnung noch deutlicher zum Ausdruck. Die Entscheidung sei "unverantwortlich, die aktuelle Ausgestaltung sieht Regularien vor, die jenseits jeglicher unternehmerischer Realitäten stehen". Er befürchte eine starke Belastung für kleine und mittlere Unternehmen.
Während die Interessenvertreter aus der Wirtschaft massiv gegen das neue Gesetz lobbyierten, waren jene der Arbeitnehmerseite dafür eingetreten. Mit der Einigung könne "der lange verhandelte Paradigmenwechsel von freiwilligen Selbstverpflichtungen hin zu verpflichtenden Regelungen, um Menschen-, Arbeits- und Gewerkschaftsrechte zu achten und die Umwelt zu schützen, endlich eingeleitet werden", reagierte Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, auf den Beschluss am Freitag.
