Ihre Mittagspause verbringt Kristine Haukongo am liebsten in ihrem kleinen Pilz-Haus, wie sie es nennt. Hier wachsen keine Pilze, sie dienten vielmehr als Baumaterial, erklärt die Biochemikerin. Das kleine Haus am Rand der namibischen Hauptstadt Windhoek ist die erste und bislang einzige selbsttragende Myzelium-Struktur der Welt. "Es hat ein angenehm kühles Raumklima", sagt Haukongo. Doch um zu erklären, wie aus Pilzen Baumaterial wird, muss sie nach draußen in die Hitze. Über dem kargen Land brennt die Sonne. Namibia ist eines der trockensten Länder der Welt, der Klimawandel verschärft die Dürrezeiten. Viehbauern kämpfen ums Überleben, auch weil Weidelandschaften immer kleiner werden, invasive Büsche verdrängen Graslandschaften. "Das bringt Hunger und senkt die Grundwasserspiegel noch weiter", sagt Haukongo, während sie das Gelände der Non-Profit-Organisation MycoHAB überquert.
Landwirte verbringen viel Zeit mit dem sogenannten De-Bushing, mittlerweile auch unterstützt von Firmen, die die Buschabfälle weiterverwerten - zu Tierfutter oder als Brennstoff. "Die Reste landen hier bei uns", sagt die 28-Jährige und öffnet einen großen Sack mit gehäckseltem Busch. Aus diesen Häckseln stellen sie und ihr Team Substrat für den Pilzanbau her. Die Buschabfälle werden eingeweicht, in Plastiksäcke gepackt, pasteurisiert und dann mit Sporen von Austernpilzen geimpft.
Kristine Haukongo öffnet einen der Schiffscontainer, die auf dem Grundstück aufgereiht sind. Kühle, feuchte Luft strömt ihr entgegen. In diesem Klima entwickelt sich das Myzelium prächtig, große fleischige Austernpilze sprießen aus den Säcken. "Wir verkaufen sie an Händlerinnen, Geschäfte und Hotels." Pilze seien sehr nahrhaft, erklärt Haukongo. "Wir tragen damit auch zur Ernährungssicherheit bei."
Schätzungen zufolge gelten 1,26 der rund drei Millionen Einwohner Namibias als ernährungsunsicher. Das bedeutet, dass sie keinen ausreichenden Zugang zu sicheren und nahrhaften Lebensmitteln haben, um ihren Ernährungsbedarf zu decken.
Das abgeerntete Pilz-Substrat würde normalerweise auf dem Kompost landen. MycoHAB aber verarbeitet es weiter zu Bausteinen, sogenannten Myco-Blocks. Die Idee dazu hatte der US-amerikanische Architekt Christopher Maurer, der in Cleveland nachhaltige Gebäude und für die Nasa Weltraumarchitektur entwirft. "Ich bin immer auf der Suche nach Materialien mit einem geringen ökologischen Fußabdruck", erzählt er am Telefon. Schließlich seien Beton, Stahl und Aluminium für 23 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Die Betonindustrie stoße für jede Tonne Beton eine Tonne Kohlendioxid aus, bei der Produktion der Myco-Blocks sei es umgekehrt. "Für jede Tonne, die wir produzieren, wird eine Tonne Kohlenstoff gebunden." Gemeinsam mit Forschenden des Massachusetts Institute for Technology hat Maurer MycoHAB gegründet. Eine in mehreren afrikanischen Staaten tätige Bank stellte das Startkapital zur Verfügung und wählte Namibia als Standort für das Pilotprojekt aus.
Kristine Haukongo arbeitet von Beginn an als Chef-Kultivatorin für das Projekt und ist stolz darauf, was ihr kleines Team vor Ort bereits geleistet hat. Eine namibische Firma entwarf eine Maschine, um das abgeerntete Pilzsubstrat zu Blöcken zu pressen. "Es ist die einzige weltweit", betont die 28-Jährige. Die Blöcke werden unter hohem Druck in eine Form gepresst und dann zwölf Stunden lang bei 180 Grad gebacken. Die fertigen Myco-Blocks sind fast quadratisch, dunkelbraun und steinhart.
Ein faszinierendes Material, erklärt Architekt Christopher Maurer. Das Busch-Pflanzenmaterial besteht aus Lignin und Zellulose, das Myzelium wandelt es in Chitin um. "Chitin ist ein sehr starkes natürliches Polymer, das alles zusammenhält, wie ein Klebstoff." Durch einen einfachen Lehmputz vor der Witterung geschützt, würde das organische Mauerwerk jahrzehntelang halten und sei danach biologisch abbaubar, sagt Maurer.
"Es ist ein multifunktionales Material: Es bietet strukturelle Festigkeit, isoliert, wirkt schalldämmend und ist feuerresistent." Vor allem Letzteres ist abgesehen vom angenehm kühlen Raumklima für Kristine Haukongo bedeutsam. "Es gibt hier in Namibia immer wieder verheerende Feuer, bei denen Hunderte Häuser auf einmal niederbrennen können", betont sie.
Namibia gehört weltweit zu den Ländern mit einer besonders ausgeprägten sozialen Ungleichheit, geschätzte 995.000 Menschen leben verarmt in informellen Siedlungen, in sogenannten Shacks, das sind selbst gebaute Hütten aus Holz und Wellblech. Weil es dort meist auch keinen Strom gibt, kochen die Bewohner mit Holz oder Petroleumöfen.
In Pilz-Häusern wären sie vor Feuern und Hitze besser geschützt, sagt Haukongo. Sie hofft, dass mit den Myco-Blocks bald auch Häuser in diesen Siedlungen gebaut werden. Dafür müssten die Produktionskapazitäten steigen, die Gründer suchen gerade nach Investoren.
Die Vorteile dieser "regenerativen Architektur" lägen auf der Hand, betont Christopher Maurer. "Sie hilft bei der Bekämpfung der Wüstenbildung und dabei, Land zu regenerieren. Gleichzeitig produziert sie Nahrung und ein Baumaterial, das Kohlenstoff speichert." Das könne sich nicht nur für Namibia als nützlich erweisen, sondern für den ganzen Planeten.