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Im Wortlaut: Festspiel-Rede von Landeshauptmann Wilfried Haslauer

Die Salzburger Festspiele sind trotzig; sie trotzten den Verwerfungen in unserer Geschichte.

Ein Fest, trotzdem.
Ein Fest, trotzdem.

Hochgeschätzer Herr Bundespräsident, verehrte Frau Mag. Schmidauer! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Verehrte Regierungsmitglieder! Hochwürdigster Herr Erzbischof!

Herzlich begrüßen möchte ich unser Festspieldirektorium mit Frau Festspielpräsidentin Dr. Kristina Hammer in ihrer ersten Festspielsaison!

Ich verbeuge mich vor Intendant Markus Hinterhäuser, der uns heuer wieder ein wunderbares Programm bietet und ich grüße den Kaufmännischen Direktor Lukas Crepaz!

Liebe Mitwirkende der Salzburger Festspiele vor, af nd hinter der Bühne!

Sehr geehrte Damen und Herren!

I. Ein Festakt
Herzlich willkommen zur feierlichen Eröffnung der Salzburger Festspiele 2022, herzlich willkommen zu diesem Festakt. In erwartungsvoller Aufmerksamkeit freuen Sie sich auf wunderbares Mozarteumorchester und unseren herrlichen Bachchor mit Musik von Mendelssohn-Bartholdy, Scelsi und Silvestrov. Sie werden in feierlicher Stimmung von der Schönheit der Sprache und der Tiefe der Gedanken der Festrede von Ilija Trojanow gefangen sein und - absehbar - den Grußworten der politischen Vertreter zum Wert von Kunst und Kultur, insbesondere auch in kriegerischen Zeiten, applaudieren.

Die Salzburger Festspiele sind trotzig; sie trotzten den Verwerfungen in unserer Geschichte, der Armut und dem Hunger nach dem Ersten Weltkrieg, der 1.000-Mark-Sperre, sie fanden - wenn auch durch die NS-Machthaber instrumentalisiert - im Zweiten Weltkrieg statt und wurden trotz Korea-, Vietnam- und der Nahostkriege, trotz zweier Irak-Kriege, der Kriege am Balkan, trotz Flüchtlingskrise und Pandemie, trotz Finanzkrisen, Ölschocks, Erdbeben, Hochwässern und Vermurungen abgehalten Auf der ganzen Welt leiden Menschen, hungern und sterben.

Die Salzburger Festspiele finden statt. Trotzdem. Warum macht dieses Beharren von Kunst und Kultur und auch der Salzburger Festspiele auf sich uns gerade in diesem Jahr so nachdenklich? Krieg, Teuerung, Vertriebene hat es doch in der mehr als hundertjährigen Geschichte der Salzburger Festspiele immer wieder gegeben!

Muss Kunst unter allen Umständen aufgeführt werden, brauchen Künstlerinnen und Künstler losgelöst von allen menschlichen Tragödien wirklich die Bühne, ist das Publikum gerade in dieser Zeit durch Aufführungen zu erfreuen oder auch zu erschüttern, bevor das gebuchte Restaurant aufgesucht und am nächsten Tag die Geschäfte frequentiert werden? Hat Kunstkritik überhaupt noch Anspruch auf Platz, wenn es über so viel Elend so viel zu berichten gibt? Ein Salzburger Festspielsommer: Muss das jetzt wirklich sein?

II. Schule Nr. 134

Eine junge Frau mit hochgestecktem blonden Haar tanzt in ihrem wallenden, roten Chiffonkleid vor den Ruinen eines großen Gebäudes. Sie heißt Valerie und hat das Kleid an, das sie gerne bei ihrem Maturaball getragen hätte; der Ball findet nicht statt, das zerstörte Gebäude auf dem Foto hinter ihr ist ihre Schule, die Schule Nr. 134 in der geschundenen und belagerten Stadt Charkiw. Valerie hat in diesem Krieg nicht ihr Leben, aber ein Stück ihres Lebens, ihre Hoffnungen und Erwartungen verloren und musste sie gegen elementare Nöte eintauschen. Ihr rotes Kleid ist ihre Antwort und auch eine Aufforderung. Sie will sich ihre Lebensfreude, ihre Sehnsüchte nicht nehmen lassen und sie appelliert - vielleicht unbewusst - mit ihrem Foto an uns, trotz des großen Elends, der Zerstörung und des Sterbens, trotz dieses verbrecherischen Krieges nicht aufzugeben, Menschen in der ganzen Breite unseres Daseins zu sein, mit aller Trauer, Betroffenheit und Hilfsbereitschaft, aber auch mit aller Freude, mit dem Sinn und Suchen nach Schönheit, nach Friede, nach Kreativität, nach Liebe, nach Lust am Leben, nach Wahrheit und Zukunft!
"Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt", schreibt Bertold Brecht in seinem Gedicht "An die Nachgeborenen" und weiter: "Ich wäre gerne auch weise, in den alten Büchern steht, was weise ist: Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit ohne Furcht verbringen, auch ohne Gewalt auskommen, Böses mit Gutem vergelten Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen, gilt für weise."

Nein, wir können uns nicht heraushalten. Nein, wir können und müssen beides, Anteil nehmen und helfen so gut und viel wir vermögen, aber auch uns selbst verteidigen, unsere Wertehaltungen, das was uns ausmacht, weil wir nicht nur vom Brot allein leben, sondern auch nach Höherem streben, also nach Erkenntnis, weil wir auch Bewunderung geben wollen und Applaus und uns selbst eine Meinung bilden möchten, die einem nicht angeschafft wird, sondern durch Leistung, durch Außergewöhnliches, durch Beflügeltwerden wächst: Auch das ist Salzburg!

Nicht ein hohles Getriebe, sondern ein Ausrufezeichen für Lebendigkeit, Toleranz und Vielfalt, genau das Gegenteil von dem, was Valerie in Charkiw erleben muss. Nein, wir werden nicht nachgeben und auch nicht aufgeben, für Frieden in Freiheit und Würde einzutreten!

III. Leningrader Symphonie

Am späten Nachmittag schweres Artilleriefeuer von russischer Seite. Dann plötzlich: Stille. Und darauf: Musik! Aus tausenden Radiogeräten, die man an die Fenster der noch nicht zerbombten Gbäude gestellt hat, aus ungezählten Lautsprechern der belagerten, leidenden Stadt, aus zahllosen eigens auf öffentlichen Plätzen aufgestellten Schalltrichtern auf lapprigen Lkws: Musik! Und die, die bis dahin überlebt haben in den Schützengräben und Bunkern, sie alle lauschen dem Konzert. Erst ungläubig, dann fasziniert. Für fast eineinhalb Stunden schweigen die Waffen. Es ist der 09. August 1942, der Name der von der deutschen Wehrmacht belagerten Stadt:

Leningrad. 900 Tage dauert die Abriegelung, über eine Million Menschen verhungert und trotzdem kommt der erste Satz der siebten Symphonie - der "Leningrader Symphonie" - von Dimitri Schostakowitsch in dieser Form zur Aufführung, zeitgenössische, aufwühlende Musik, die das ganz Drama des Leidens in diesen Monaten in sich verdichtet. Im Konzertprogramm der Salzburger Festspiele 2022 findet sich der Name Dimitri Schostakowitsch siebenmal. Aber halt: War Schostakowitsch nicht auch ein Günstling Stalins? Hat er zwar Todesängste und Aufführungsverbote ertragen müssen, aber nicht doch auch Begünstigungen und Orden erhalten?

Wie kann man das Werk eines Künstlers aufführen, der dem Diktator und Massenmörder Stalin zu Diensten sein musste und wohl auch war? Ja sollte nicht - wie von manchen gefordert - überhaupt ein Bann über jedwede Kunst gelegt werden, die aus einem Land kommt, das einen blutigen Angriffskrieg anzettelt, jetzt also die über russische Kunst? Eines ist klar und muss unmissverständlich betont werden: Diesen Krieg fördernde- oder rechtfertigende Künstlerinnen und Künstler haben ohne Zweifel keinen Platz im Friedenswerk der Salzburg Festspiele und ihrer humanistischen Sendung.

Wenn aber darüber hinaus auch noch die Kunst in ihrer Gesamtheit zum Schlachtfeld wird, in dem ihre Werke und auch die Künstler und Künstlerinnen stigmatisiert, ja zensuriert werden, nur weil sie aus einem bestimmten Land, einem bestimmen Kulturkreis kommen, dann hieße das, uns den Kanon unserer europäischen kulturellen Identität zu nehmen. Das dürfen wir nicht hinnehmen, spätestens dann nämlich versinken wir wie nach einem Dammbruch im Morast der Instrumentalisierung von Kunst und verlieren uns und das, was wir
sind, in Manipulation und genommenen Freiheit. Bei aller Betroffenheit: Die Kunst darf vor dem Krieg nicht kapitulieren!
Nochmals Bertold Brecht:
"Dabei wissen wir ja:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
macht die Stimme heiser. Ach, wir,
die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit,
konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird,
dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist,
gedenkt unserer
mit Nachsicht."

Seien Sie - trotz allem - herzlich willkommen zu den Salzburger Festspielen 2022, die ich für
mich und ganz persönlich Valerie aus Charkiw mit ihrem roten Kleid widmen möchte.

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