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Paradox: Jetzt muss man sich vor steigenden Zinsen fürchten

Höhere Zinsen für neue Anleihen lassen die Kurse für ältere Papiere fallen, Aktien und Immobilien kommen unter Druck.

Ronald Barazon

Die niedrigen Zinsen sorgen bei den Sparern, Anlegern und Versicherten seit längerem für Verluste. Paradoxer Weise muss man sich aber jetzt auch vor einem Anstieg der Zinsen fürchten. Das Leid hat noch lange kein Ende.

Die Europäische Zentralbank lässt sich von der Null- und Minuszinsenpolitik nicht abbringen. Der Präsident dieser Institution, Mario Draghi, ist außerdem fest entschlossen, weitere Milliarden an Staatsanleihen zu übernehmen. Die Kombination ergibt den Traum aller Finanzminister: Man kann jedes Defizit finanzieren und das zu extrem günstigen Bedingungen.

Dass damit die Budgets nicht saniert, sondern nur entlastet werden, zeigt sich an der Summe aller Defizite der EURO-Staaten in einem Jahr: Das Minus beträgt stolze 185 Milliarden Euro. Bei "normalen" Zinsen wäre der Abgang allerdings mindestens doppelt so hoch: Die EURO-Staaten haben alle zusammen fast 10.000 Milliarden Schulden, nur 1 Prozent mehr Zinsen bedeutet um 100 Milliarden mehr Kosten, also um 100 Milliarden mehr Defizit.

Der Traum der Finanzminister löst bei Sparern, Anlegern und Versicherten Alpträume aus. An den Nicht-Zinsen der Zentralbank orientieren sich alle Zinsen des Marktes und so werfen die Spar- und Vorsorgeinstrumente nur bescheidene Erträge ab. Unter Berücksichtigung der Geldentwertung durch die steigenden Preise ergibt sich oft ein Verlust.

Nachdem aber der Mittelbedarf der Staaten offenbar unstillbar ist, wird die Zentralbank nicht unbegrenzt Anleihen kaufen können. Die Staaten werden sich wieder an den Markt wenden müssen, auf dem die leicht anziehende Konjunktur auch die Kreditnachfrage ansteigen lässt. Mehr Bedarf bedeutet höhere Zinsen und darüber können sich die Anleger nur beschränkt freuen.

Höhere Zinsen für neue Anleihen lassen die Kurse der älteren Papiere fallen. Die niedrigen Spar- und Anleihezinsen haben die Anleger zu den Aktien und Immobilien getrieben, wodurch die Kurse und Preise enorm gestiegen sind. Überhöhte Preise werden bei steigenden Zinsen korrigiert, Verluste sind unvermeidlich.

Wenn die Zinsen über einen längeren Zeitraum schrittweise angehoben werden, können sich die Märkte auf die geänderte Situation einstellen. Steigen allerdings die Zinsen plötzlich und stark, weil die Staaten und die Unternehmen einen großen Mittelbedarf haben, kommt es zum Crash.

Die US-Zentralbank Fed, die ebenfalls länger eine Nullzinsenpolitik betrieben hat, hebt daher unter der Führung von Janet Yellen die Zinsen in kleinen Etappen an.

In Europa hält Mario Draghi den brodelnden Kessel geschlossen - bis der Druck für eine Explosion sorgen muss.