Es ist an der Zeit, eine Frage neu zu formulieren: Wir sollten uns nicht mehr nur fragen, was wir noch alles mit dem Internet machen könnten. Viel wichtiger ist die Frage, was das Internet mit uns macht. Denn zu viel hat sich in den weltweiten Datennetzen verselbstständigt. Zu viel Innovationskraft von Technologieunternehmen trifft derzeit auf zu wenig Verantwortung für diese Innovationen. Enormen wirtschaftlichen Interessen werden zu wenige Regeln und zu lasche Kontrollen entgegengesetzt. Zu große Naivität der Nutzer trifft auf zu viel Kalkül der Internetunternehmen.
Der neueste Trend: Big Data. Viele Firmen erhoffen sich durch diese Methode neue Geschäftsfelder. Bei Big Data werden riesige Datenmengen durchsucht und analysiert. Daten, die Menschen täglich produzieren. Das geschieht entweder bewusst, indem Internetnutzer E-Mails verschicken, Urlaubsbilder auf Facebook posten oder Kontaktformulare ausfüllen. Vor allem aber auch unbewusst, indem das Verhalten von Menschen erfasst wird: beim Telefonieren, Einkaufen, durch Sensoren in Smartphones und Autos.
Das Spannende an Big Data ist, dass es wie eine mächtige Glaskugel funktioniert. Um mehr über die Beobachteten zu erfahren, braucht man nicht einmal eine Vermutung anzustellen. Denn Daten werden nicht nach Ursache und Wirkung ausgewertet, sondern ausschließlich nach deren Wechselwirkung. Man fragt nicht mehr nach dem Warum, sondern nur mehr nach dem Was. Der Unterschied? Für die Frage nach dem Warum braucht man eine Idee, wonach man sucht. Big Data kommt ohne diese Idee aus, liefert dennoch jede Menge Zusammenhänge - ohne sie zu erklären. Zum Beispiel: Frauen, die im letzten Jahr einen karierten Rock gekauft haben, auf Brad Pitt stehen und ein bestimmtes Parfüm tragen, werden im nächsten Jahr nach New York fliegen. Warum? Das weiß keiner, die Trefferquote ist aber trotzdem hoch. Darum kann ein Unternehmen heute schon die Reise bei den Betroffenen ganz subtil bewerben. Die Idee, nach New York zu fliegen, ist den Umworbenen zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht einmal bewusst. Noch besser, sie wird als eigener Einfall gesehen. Zu futuristisch? Keineswegs, denn Buchempfehlungen auf Amazon beruhen genauso auf Big-Data-Methoden wie neue Prognosemethoden für Wahlergebnisse oder eine Unterstützungssoftware für Polizisten in Los Angeles, die Orte voraussagt, an denen in den nächsten Stunden vermutlich Verbrechen begangen werden. Erfolgsquote zwischen 13 und 30 Prozent. Getestet wird seit 2011.
Und die Goldgräberstimmung rund um Big Data kommt erst so richtig auf. Das führt dazu, dass immer mehr Daten neu erfasst und bestehende neu interpretiert werden. So können auf einem Bild, das vor Jahren ins Internet gestellt wurde, heute schon abgebildete Personen identifiziert werden, ihre Stimmung, ihr Alter und Geschlecht ebenso und bald sicher noch einiges mehr ...
Big Data, immer mehr Sensoren, die Daten liefern, der leichtfertige Umgang mit persönlichen Informationen und das Elefantengehirn des Internets, das nichts vergisst, treten derzeit in eine Allianz ein, die uns vor große Herausforderungen stellt. Die Technologien zusammen sind ein mächtiges Instrument, um unser Verhalten vorhersehbar, aber auch manipulierbar zu machen. Sich dagegen zu verwahren, dazu ist es bereits zu spät. Zu viele Informationen, aus denen Rückschlüsse gezogen werden können, sind bereits im Umlauf. Und mit jedem Tag werden weitere Daten gesammelt und damit die Rückschlüsse noch präziser.
Julian Assange, umstrittener Gründer von WikiLeaks, rief unlängst in einer Videobotschaft beim 30. Kongress des Chaos Computer Clubs den Teilnehmern den Satz zu: "Wir sind die letzte freie Generation." Doch sind wir das wirklich? Werden unsere Ideen und Bedürfnisse nicht schon längst von den mächtigen Firmen gesteuert? Unbemerkt von uns, weil wir in unserer eigenen Welt gefangen sind? Wenn wir nach Begriffen auf Google suchen, mit Freunden auf Facebook in Kontakt treten oder online einkaufen, bekommen wir längst Ergebnisse präsentiert, die genau auf unsere prognostizierten Bedürfnisse zugeschnitten sind. Facebook speichert angeblich über einhundert Informationen zu jedem einzelnen Nutzer, Google hat über die Suche, den E-Mail-Dienst, die Office-Software und das Android-Betriebssystem mehrmals täglich mit jedem Internetnutzer Kontakt. Selbst über Menschen, die noch nie bewusst mit dem Internet in Kontakt getreten sind, existieren online unzählige Daten, die von Unternehmen, Behörden oder über soziale Medien gesammelt wurden. So wird die Welt, in der wir uns bewegen, immer mehr personalisiert. Der Blick über den eigenen Tellerrand geht dabei aber verloren.
Der einzige Weg, um den negativen Folgen dieser Mechanismen zu entkommen, ist, sich ihrer bewusst zu sein. Mit den eigenen Daten sorgsam umzugehen ist ein wichtiger Schritt, dem Zufall auch in Zukunft eine Chance zu geben. Den gerissenen Datensammlern nicht auf den Leim zu gehen ein weiterer. Bei Verwaltung und Unternehmen einen besseren Datenschutz einzufordern wird, wie der Schutz der Umwelt, ein entscheidendes politisches Thema werden. Denn in letzter Konsequenz sollte eine neue Technologie Anwendern und Anbietern gleichermaßen dienen.


