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Ein Netz für Fatalisten

Jeder ist im Internet. Selbst wer noch nie online war. Und dort wird spioniert, betrogen und verführt, was das Zeug hält. Damit muss endlich Schluss sein.

Thomas Hofbauer
Der neue Schuh drückt und sieht auch nicht so gut aus wie auf dem Bild im Onlineshop. Die Fünf-Sterne-Bewertung kann man nach den ersten Gehversuchen beim besten Willen nicht nachvollziehen. Und bald zwicken die Latschen mit dem Zweifel an den positiven Rezensionen um die Wette. Gefälschte Bewertungen auf Einkaufs- und Reisewebsites gehören mittlerweile zum Alltag. Genauso wie das Wissen, dass uns die großen Internetkonzerne wie Google, Facebook und Amazon mit ihrem Datenhunger ständig auf den Fersen sind. Und manchen auch noch die NSA. Das ist uns aber egal.

Eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach für die "WirtschaftsWoche" ließ kürzlich aufhorchen. Man wollte wissen, ob sich die Befragten durch die Spähaktivitäten des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes bedroht fühlen und ob sie fürchten, dass ihnen daraus persönliche Nachteile erwachsen könnten. Doch die Betroffenheit war mäßig, auch wenn die Mehrheit der Befragten die Vorgänge kritisch sieht. Dass die Aktivitäten der NSA nicht für weitaus mehr Unruhe sorgen, liegt nach Ansicht von Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher an einem generellen Fatalismus, der sich im Zuge der technologischen Entwicklung in der Bevölkerung breitgemacht habe.

Mehr als die Hälfte der befragten Deutschen befürchten, dass ihre Daten im Internet nicht geschützt sind. Lächerliche 17 Prozent vertrauen darauf, dass der Staat sorgsam mit ihren Daten umgeht. Das Misstrauen richtet sich gegen die Wirtschaft wie die öffentliche Hand gleichermaßen. Trotzdem steckt man lieber den Kopf in den Sand.

Konnte man sich lange Zeit die Schattenseiten der Digitalisierung schönreden, wird mit jedem Skandal das Bild klarer: Die mächtigen Internetkonzerne haben uns zu ihrem Produkt deklassiert, halten uns als kaufwillige Sklaven in ihren Datenbanken und verdienen prächtig an den Informationen, die wir ihnen in unserer grenzenlosen Naivität freiwillig zur Verfügung gestellt haben. Staaten schnüffeln ihren Bürgern hinterher und stellen jeden unter Generalverdacht, egal ob Freund oder Feind, ob kleiner Mann oder Kanzlerin.

Misstrauen gegen die "neue Technologie" nagte immer schon an jenen, die das Internet in der Lebensmitte für sich entdeckt oder abgelehnt haben. Der Fatalismus beginnt, wenn sie erkennen, dass sich das Internet auch ohne eigenes Zutun mit ihrem Alltag verwoben hat und dass es keinen Weg zurück gibt. Egal, ob sie es selbst nutzen oder ob Ärzte per E-Mail ihre Befunde austauschen, der kleine Buchladen ihre Bestellung online im Zentrallager ordert oder Telefonnummer und Adresse offen im World Wide Web stehen.

Doch auch bei den "Digital Natives", jungen Menschen, für die Internet und Smartphone immer schon dazugehörten, keimt das Unverständnis. Spätestens bei der Erkenntnis, dass es Teile der Welt gibt, die sie mit keiner Suchmaschine ergründen können und die keinen "Gefällt mir"-Button haben. Der Gedanke, wonach das, was online nicht da ist, folglich nicht existiert, entspringt wohl einer ähnlichen fatalistischen Grundhaltung.

Was ist aus der wunderbaren Idee geworden, das Internet könne Völker und Kulturen verbinden, Informationsfreiheit, Bildung und Demokratie fördern und jedem Menschen eine Plattform geben, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen? War das nicht mehr als Technologiegläubigkeit mit einem Schuss Sozialromantik? Nein.

Unversehrte elektronische Kommunikation muss als Grundrecht endlich anerkannt werden. Die Chancen stünden gut, träte Europa den Internetgiganten mit der gleichen Vehemenz entgegen, wie es Diktaturen mit ihren Zensurwünschen tun, freilich mit demokratischen Mitteln. Die Kommunikation muss frei sein von Bespitzelung, frei von Bevorzugung und frei von verborgenen wirtschaftlichen Interessen. Doch hier will niemand einer Gratiskultur das Wort reden. Im Gegenteil, der Preis für Inhalte und Dienste muss transparent werden. Wer einen kostenlosen E-Mail-Dienst nutzt, muss darüber aufgeklärt werden, dass seine elektronische Korrespondenz ausgewertet wird, um ihn durch personalisierte Werbung besser verführen zu können. Wer sich mit Freunden über soziale Medien austauscht, dem muss auch gesagt werden, dass aus seinen Aktivitäten ein Nutzerprofil erstellt wird, das weit mehr über ihn verrät, als er freiwillig über sich preisgibt.

Das Internet darf nicht durch ausschließlich kommerzielle Interessen weiterentwickelt werden. Dazu ist es für unser Leben zu wichtig geworden. Es muss ein neutraler und rechtssicherer Raum werden. Staaten müssen noch mehr in die Digitalisierung investieren und dürfen nicht in die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen flüchten. Die nehmen der öffentlichen Hand zwar Investitionskosten ab, welchen Nutzen sie aber sonst noch aus der Investition ziehen, wird meist zu wenig hinterfragt.

Jetzt liegt es an uns: Um Datenschutz und Rechtssicherheit zu etablieren, brauchen Politiker das Interesse und den Willen aus der Bevölkerung. Fatalismus ist an dieser Stelle die schlechteste Haltung.