Auch die Schnüffeleien der NSA in Daten der Internetnutzer, die Debatte um die elektronische Gesundheitsakte ELGA und das Datenleck bei den Bildungstests des Bifie tun ihren Teil dazu, dass wieder ein stärkeres Bewusstsein dafür entsteht, was privat und was öffentlich sein sollte. Öffentlich gegenüber Mitmenschen, gegenüber Unternehmen, der Werbewirtschaft und öffentlich gegenüber Staat und Behörden.
Einen weiteren Aspekt, der verdeutlicht, dass Privatsphäre bei digitaler Kommunikation ohnehin auf tönernen Füßen steht, zeigte zuletzt der Verkauf des Nachrichtendiensts WhatsApp. Dieser hatte bei jungen Internetnutzern Facebook als Kommunikationsplattform nahezu abgelöst. Vor allem europäische Nutzer waren durch den Verkauf alarmiert, hatten die Macher doch bis zuletzt versprochen, anders als Facebook zu sein: Man hatte Werbefreiheit garantiert und wollte auf die Auswertung von Nutzerdaten verzichten. 450 Millionen Kunden hatte man mit diesem Versprechen gesammelt, um das Unternehmen schlussendlich an den Rivalen Facebook zu verkaufen. Für die Nutzer werde sich nichts ändern, beteuerte man noch, doch das Vertrauen war auf einen Schlag weg. Viele der 450 Millionen Nutzer machten sich auf die Suche nach der nächsten Plattform für ihre private Kommunikation. Alternativangebote waren rasch gefunden. Nutzer kennen in der Onlinewelt genauso wenig Loyalität wie Firmengründer. Wozu auch, die App ist am Handy ebenso schnell gelöscht und eine neue installiert, wie Internetfirmen gekauft und verkauft werden. Was mit Daten passiert, die das Unternehmen eingesammelt hat und die bei einem Verkauf an den neuen Eigentümer übergeben werden, bleibt meist unklar. Oft ist nicht einmal bekannt, was gesammelt wurde.
Paradox ist, dass Nutzer zwar durch die Debatte über den Umgang mit Daten durch Unternehmen und Behörden sensibilisiert sind, in letzter Konsequenz ist es vielen aber egal, was Unternehmen oder Behörden über sie wissen. Man habe nichts zu verbergen, heißt es dann mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Resignation im Tonfall.
Die einzige Sorge, die Internetnutzer haben, ist die, sich mit ihrem digitalen Treiben vor Mitmenschen zu blamieren - jetzt oder in Zukunft, denn das Internet vergisst nichts. Auch das hat sich mittlerweile ins Bewusstsein geprägt.
Und so folgt die nächste Gegenbewegung: der Rückzug ins analoge Private. Digitale Kommunikation wird verbannt. Nicht aus dem Leben, dafür ist sie zu wichtig und unerlässlich, aber aus bestimmten Lebensbereichen. Man hört von Partys, zu denen mit der Aufforderung eingeladen wird, man möge Handys und Kameras doch bitte zu Hause lassen, es soll ein privater Abend werden. Oder Menschen definieren Bereiche ihrer Lebenswelt als elektronikfreie Zone: den gemeinsamen Esstisch zum Beispiel oder das Schlafzimmer.
Das ist ein kleiner Anfang, der aber zeigt, dass Menschen Verantwortung für ihre Privatsphäre übernehmen wollen und sich für einen bewussteren Umgang mit der Öffentlichkeit entscheiden. Das eröffnet eine neue Ebene der Kommunikation zwischen Privatem und Öffentlichem: das veröffentlichte Private. Bilder, Gedanken und Gefühle, für die Menschen einstehen, die für sie wichtig sind und die sie bewusst ausplaudern wollen, um der Welt ihre Ideale mitzuteilen oder Engagement zu demonstrieren, werden publik gemacht, andere Aspekte einer Persönlichkeit hingegen abgeschottet.
So wird aus einer Bewegung, die auf den ersten Blick wie ein digitales Biedermeier aussieht, weil sich immer mehr aus der öffentlichen Kommunikation zurückziehen, das genaue Gegenteil. Im Biedermeier verschwand die Debatte um politische und kulturelle Themen aus Angst vor den Spitzeln Metternichs von den Straßen. Soziale Medien bieten die wunderbare Möglichkeit, jedem Öffentlichkeit zu verschaffen und dort für seine Anliegen und Wünsche einzutreten. Eine Chance, die genutzt werden sollte.
Private Nacktbilder, Aufnahmen von Betrunkenen, unbedachte Äußerungen und andere Peinlichkeiten und Unsinnigkeiten, die soziale Medien teilweise in Verruf gebracht haben, wird es auf dem Weg zu einem adäquaten Umgang mit der neuen Kommunikationsform weiter geben. Der Sog, den diese Form von Öffentlichkeit erzeugt, wird auch in Zukunft Schwachsinniges anziehen. Doch sollte das den Blick auf die Chancen nicht verstellen, die das digitale Miteinander bietet.

