Sind Sie auch darüber erstaunt, was kleine Kinder über Physik und Biologie wissen? Und fragen Sie sich auch manchmal, warum Sie eine simple Entdeckung nicht selbst gemacht haben, wo sie doch vor Ihrer Nase nur darauf gewartet hat?
Wissen ist alles. Es sichert uns Wettbewerbsvorteile, die günstigeren Sonderangebote und die besseren Zinsen. Wissen verstellt uns aber auch manchmal den Blick auf das Wesentliche. Wir konsumieren täglich mehr Informationen denn je, schütten unsere Kinder bereits im Vorschulalter mit Naturwissenschaft zu und fragen uns dann doch immer wieder, warum die anderen geniale Einfälle gehabt haben und nicht wir selbst.
Wie konnten primitive Steinzeitmenschen so viel über Astronomie wissen, ohne Taschenrechner, zehn Jahre "Sendung mit der Maus" und zwölf Universum-Folgen über die Weiten des Weltalls? Ich habe da einen Verdacht: Es blieb ihnen nichts anderes übrig! Jeden Abend saß Huk vor seiner Höhle. Ein Gläschen Rotwein gab es nicht, auch kein Theater, kein Facebook - ja nicht einmal ein Taschenbuch. Mit seiner Frau hatte er bereits mehr als die heute wie damals üblichen sieben Worte pro Tag gesprochen. Was blieb ihm anderes übrig als - Fernsehen. Das Programm war schon damals dem heutigen ähnlich: vor allem Leere mit dazwischen ein paar Stars und Sternchen.
Plötzlich - nach 15 Jahren In-die-Himmelsferne-Schauen - ereilte Huk eine Erkenntnis: Immer, wenn die Sonne bis zu diesem Berg zum Schlafengehen gewandert war, dann drehte sie wieder um. Und genau dann begann auch die kalte Jahreszeit. Huk legte sich nun auch am Morgen auf die Lauer, den Geist zwar nicht durch Frühstücksflocken, aber durch Neugier vitalisiert, und tatsächlich: Auch die Morgensonne wanderte jeden Tag ein Stück nach rechts, und wenn es wieder wärmer wurde nach links. Eines Tages nahm Huk einen Mammutknochen, den er zum Abendessen abgeknabbert hatte, und begann Kerben einzuritzen - Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Forschergeist war geboren.
Und heute? Es gibt Dutzende iPad-Apps zu Astronomie, hunderte Fernsehdokumentationen und vermutlich Tausende von Büchern - für jedes Alter und jegliche Vorbildung. Über interaktive Animationen entdecken unsere Kinder bereits im Kindergartenalter die Grundregeln der Himmelsmechanik, und über motivierende Lernsoftware wird in der Schule das Wissen gefestigt. Die Infotainment-Industrie preist die jungen Entdecker - doch was wird da entdeckt und erforscht? Offenbar wertvolles Wissen, vorgekaut oder in mundgerechte Stücke portioniert. Der Pfad ist vorgegeben, das Lernziel klar. Doch mit den Entdeckungen von Huk hat das wenig gemein. Das ist lediglich das Freilegen von vorgefertigtem Stückwerk innerhalb eines vorgegebenen Rahmens - von neuer Erkenntnis keine Spur, denn das Einzige, das man bei Lernsoftware wirklich entdecken kann, ist, wie man die Lernsoftware austrickst und alle Punkte kassiert.
Lernt Programmieren, sonst werdet ihr programmiert (Program or be Programmed), so formulierte es der Medientheoretiker und Cyberpunk Douglas Rushkoff in seinem 2010 erschienen Buch. Das hört sich mühsam an, kann aber auch heißen, man soll sich nicht nur die Medieninhalte aneignen, sondern gleich auch die Medien selbst. Denn erst wenn man den durch den Inhalt vorgegebenen Rahmen sprengt und damit dem Medium wieder die Ergebnisoffenheit zurückgibt, kann Neues entstehen.
Zum Autor
Thomas Hofbauer ist Leiter der Online-Redaktion der "Salzburger Nachrichten".

