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Gesund essen, Müll vermeiden, Menschen in die Augen sehen

Eine Moralpredigt macht im Internet die Runde, als Video. Doch kommt die Botschaft auch an?

Thomas Hofbauer

"Ich habe 422 Freunde, aber ich bin einsam" - so beginnt Gary Turk einen ganz persönlichen Aufruf, dass Menschen Smartphones und soziale Netzwerke am besten in die Tonne kippen sollten. An die 35 Millionen Menschen haben das Video bis jetzt gesehen. "Look Up" erzählt in knapp fünf Minuten eine Liebesgeschichte, die es nicht gegeben hätte, wenn zwei Menschen auf ihre Handybildschirme gestarrt hätten, als sie sich zufällig begegneten. In Reimen kritisiert Turk, dass Facebook und Twitter soziale Kontakte ersetzt haben und Kinder nur mehr vor dem Computer sitzen. In viel Kitsch eingebettet kommen Sprüche wie "Wir sind eine Generation von Idioten, mit smarten Telefonen und dummen Leuten" oder "give people your love, don't give them your like".

Alles klar, Gary, vor den Gefahren der sozialen Medien zu warnen hat sich damit endgültig zum medialen Hit entwickelt. Ewige Kulturpessimisten, Lehrer, Journalisten und andere Unkenrufer haben ausgedient. Die Skepsis, ob uns das Internet in die richtige Richtung führt, wird zum Massenphänomen. Aber leider nur die Skepsis und nicht die Konsequenz daraus.

Gesünder essen, das wollten wir doch auch einmal. Zuerst haben es uns die Ärzte und Ernährungsberater vorgebetet, dann die Werbung. Mittlerweile ist jedes Kind Ernährungsexperte und kann erklären, wie gesund Wasser ist und wie böse Softdrinks. Doch wir ernähren uns trotzdem immer ungesünder. Auch im Mülltrennen sind wir Weltmeister, im Müllvermeiden leider nur Theoretiker.

Das schlechte Gewissen ist noch immer ein geniales Geschäftsmodell. Erst wurde alles light, zero, veggie und dann auch noch nachhaltig, regional, wiederverwertbar. Wunderbar. Und jetzt kommt Gary Turk mit seiner Moralpredigt und macht, dass Millionen von Menschen einsichtig nicken. Mit der eingeblendeten Werbung verdient er ganz nebenbei Tausende Dollars. Gesponserter Ablasshandel, das ist doch mal was Neues! Auch wenn es keine feste Berechnungsgrundlage gibt: Eine Milliarde Klicks auf das YouTube-Video von "Gangnam Style" brachten dem Rapper Psy rund acht Millionen Dollar.

Schade, dass die wichtige Botschaft dabei auf der Strecke bleibt, denn die Verbreitung funktioniert nur in den kritisierten sozialen Netzwerken. Dort muss man die Aufforderung zum Abschalten zuerst noch teilen und wird sie beim Warten auf die ersten "Likes" von Freunden dann doch wieder vergessen.

Trotzdem zeigt das Video eines deutlich: Die Einsicht, dass ein "Like" auf Facebook eine andere Qualität hat, wie Freunden in die Augen zu sehen, wächst. Doch sollen wir Facebook und Twitter deshalb verdammen? Sicher nicht, denn wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, deren Richtung wir noch mitbestimmen können. Dazu gehört aber, dass wir aktiv daran teilnehmen. Abschalten ist der falsche Ansatz, bewusst einschalten der richtigere. Wer sich radikal verweigert, kann nicht mitreden. Ich muss das gleich auf Facebook posten ;-).

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