Ruhe! Um 19.30 Uhr versammelte sich die Familie vor dem Fernseher, die Nachrichten wurden zelebriert. Das war einmal. Auch die kleine Auszeit vom Alltagstrott mit der Zeitung am Frühstückstisch können immer weniger Menschen genießen. Massenmedien haben noch vor Kurzem den Alltag durchbrochen und gesellschaftlichen Konsens hergestellt. Und heute?
Mit dem Smartphone im Gepäck erleben wir eine beispiellose Verschmelzung von Medien und Alltag. Jeder kann mit jedem jederzeit kommunizieren und Nachrichten empfangen. Das geht so weit, dass bei manchen Freaks Medien den Alltag völlig aufsaugen. Essen, arbeiten, kommunizieren, alles wird aus der persönlichen Timeline heraus organisiert. Der rote Faden durch den Tag ist das Facebook-Profil oder der Twitter-Kanal. Jede Regung wird dokumentiert und kommentiert. Früher unterbrachen Medien den Alltag, heute stoppen die alltäglichen Verrichtungen das mediale Dauerfeuer. Dadurch wird mehr kommuniziert als je zuvor. Eigentlich wunderbar, denn aus passiven Empfängern wurden aktive Sender. Doch finden diese Sender auch Gehör in der Gesellschaft?
Neue mediale Kommunikation findet in Gruppen statt. Diese Gruppen stellen eigene Regeln auf, die sich sehr oft in einer eigenen Sprache niederschlagen. Das Phänomen der Gruppensprachen gab es zwar schon immer, Jugendliche grenzten sich wie Wissenschafter durch ihre eigene Ausdrucksweise ab. Doch noch nie waren diese Gruppen so klein. Kurznachrichten auf Twitter, Facebook und WhatsApp werden in lokalen Dialekten geschrieben oder es werden Abkürzungen und Phrasen benutzt, die nicht Allgemeingut sind. Dadurch können diese Gedanken und Unterhaltungen nur innerhalb der Gruppe verstanden werden. Unproblematisch, wenn das mit Absicht passiert, um unter sich zu bleiben. Probleme entstehen dann, wenn diese Gruppensprache die einzige ist, in der sich Menschen ausdrücken können. Hier kann der Anschluss an die Gesellschaft tatsächlich verloren gehen, weil Äußerungen zwar sichtbar, aber nicht allgemein verständlich sind.
Es ist aber nicht nur diese Selbstbeschränkung, die Sprachlosigkeit verursacht. Das Umfeld, in dem diese neue Form von Kommunikation stattfindet, ist so gestaltet, dass es wirtschaftlichen Interessen entgegenkommt. Google, Twitter und Facebook sind Unternehmen und keine gemeinnützigen Organisationen. Sie bieten gut funktionierende Kommunikationsplattformen an, die sich über Werbung finanzieren. Damit Werbung funktioniert, braucht sie ein positives Umfeld. Kein Wunder also, dass Nutzer von Facebook nur mit dem Daumen nach oben "Gefällt mir" sagen können. Alles Negative, das dem Wohlfühlen entgegensteht, muss draußen bleiben, um Menschen lang auf der Plattform zu halten. Dort sollen sie dann möglichst viel Werbung konsumieren. Doch durch das Weichspülen von Kommunikation verlieren Aussagen an Kraft und Brisanz. Im Extremfall wird aus dieser Kraftlosigkeit des Umfelds Sprachlosigkeit.
Dem unendlichen Nachrichtenstrom aus dem Internet steht zudem ein kleiner Bildschirm gegenüber. Dieser Bildschirm fokussiert die Wahrnehmung. Das ist "Pitching", also ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit, bei dem man nur wenige Augenblicke Zeit hat, seine Ideen durchzusetzen. Denn neue Nachrichten strömen nach. Ein Thema bleibt nur dann wichtig, wenn es gebetsmühlenartig wiederholt wird. Jede Denkpause führt dazu, dass das Thema vom Bildschirm verschwindet. Aus den Augen, aus dem Sinn. Wer die Maschine nicht weiter mit Informationshäppchen füttert, verschwindet mit seinen Ideen von der Bildfläche, auf der größere Gedanken ohnehin keinen Platz finden.
Und schließlich beraubt uns die Verbildlichung unserer Ausdrucksfähigkeit. Gebrauchsanweisungen, Lernvideos oder Smileys in privaten Unterhaltungen: Etwas zu benennen wird immer häufiger umgangen, komplexe Sachverhalte zu beschreiben und zu verstehen dadurch unmöglich. Parteiprogramme werden in einfacher Sprache angeboten, Gebrauchsanweisungen zu Comicstrips degradiert. Die zeigen dann, wie man das mit dem macht, und wenn man hier drückt, dann kommt dort etwas heraus. Doch was hat man da in der Hand? Einen Inbusschlüssel oder einen Spax-Schraubenzieher? Keine Ahnung, Hauptsache, er funktioniert. Und wenn man nicht weiß, wie man das Ding benutzt, stellt man ein Bild davon ins Internet und bekommt eine Videoanleitung als Antwort.
Paradox, dass in einer immer komplexeren Welt unsere Kommunikation immer einfacher wird.
Für alle verständlich sein, ein neutrales Umfeld schaffen, den Blick auf etwas richten, Aufmerksamkeit erzeugen und den Dingen einen Namen geben, diese Funktion haben bis jetzt großteils die Massenmedien übernommen. Durch die vielfältigen neuen Kommunikationsformen wird in Zukunft die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften. Die Vielfalt darf aber nicht dazu führen, dass wir alle durch sie letztendlich sprachlos werden.


