Zwischen dem deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel und dem Internet-Ableger Spiegel Online ist in der letzten Woche ein heftiger Machtkampf ausgebrochen. Print-Chef Georg Mascolo forderte angeblich mit Nachdruck, für den überaus erfolgreichen Online-Ableger eine Bezahlschranke einzuführen. Der zuletzt deutliche Auflagenrückgang des Spiegel sollte damit gestoppt werden. Digital-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron und Geschäftsführer Ove Saffe sprachen sich jedoch strikt dagegen aus. Sie befürchten, wird berichtet, dass mit einer Bezahlschranke die Vormachtstellung von Spiegel Online gebrochen würde und die Menschen auf andere Nachrichten-Websites wie Focus oder Zeit abwandern.
Verlagsmanager und Redakteure sehen im Internet-Umgang der vergangenen Jahre oft den Sündenfall der Medienbranche. Zu viel Inhalt verschenke man seither, Inhalt, für den man ebenso gut Geld verlangen könne. Zudem wird im Überangebot von Online-Nachrichten auch der Grund für die sinkenden Auflagen der gedruckten Blätter vermutet. Die Idee, für Nachrichtenangebote im Internet Geld zu verlangen und die kostbaren Neuigkeiten hinter einer Paywall zu verstecken, geistert daher seit Jahren durch die Branche. Doch war und ist das kostenlose Angebot von Nachrichten im Internet tatsächlich der Auslöser für die sinkenden Umsätze in der Branche? Oder wurzelt das Übel vielleicht noch tiefer?
Die Musikindustrie hat den umgekehrten Weg eingeschlagen. Dort versucht man seit Jahren mit Zähnen und Klauen, Musik für Geld unter die Menschen zu bringen und gleichzeitig das illegale Kopieren zu verhindern. Digital Rights Management wurde teilweise so weit getrieben, dass es einer Quasi-Enteignung der Musik-Käufer gleichkam, indem man die Anzahl der möglichen Kopien eines Titels festlegte. Der Erfolg war allerdings mäßig. Erst als mit iTunes das Kaufen von Musik über das Internet einfach wurde und die Nutzer wieder vollen Zugriff auf ihre erworbenen Musikstücke hatten, stieg auch der Absatz bei digitaler Musik. In Summe liegt er aber noch immer weit hinter den goldenen Jahren von Schallplatte und CD.
Hätte man Online schon immer Geld für Nachrichten genommen, wäre dann auch eine Raubkopie-Industrie für Nachrichten entstanden? Oder wären die Menschen hin zu den Gratiszeitungen und Anzeigenblättern abgewandert? Und wo würde Qualitätsjournalismus und politische Meinungsbildung heute stehen, wenn sich Qualitätsmedien im Internet immer schon hinter einer Paywall verschanzt hätten? Vermutlich wäre irgendwann die Erfindung einer kostenlosen Website der Qualitätspresse als Riesenerfolg gefeiert worden. Endlich qualifizierte Meinungsbildung auch für jene, die sich keine Zeitung leisten können oder wollen.
Wie man es dreht und wendet, die Richtung, die am Schluss eingeschlagen worden wäre, würde immer hin zum kostenlosen Angebot tendieren, denn die Folgen der Digitalisierung gehorchen zwei Prinzipien: 1) Alles Digitale hat den Drang, frei und damit auch gratis zu sein. Das war ursprünglich eine politische Idee, doch es scheint auch ein ökonomisches Prinzip zu sein. 2) Die digitale Welt kennt keine Distanzen und alles ist überall verfügbar. Digitale Leser sind an Marken viel weniger gebunden. Eine neue Nachrichten-App ist in einer Minute installiert, das Surfen auf eine andere Nachrichtenseite dauert nur einen Mausklick. Wird auf einer Seite eine Paywall eingezogen, wandert das Gros der Nutzer auf eine andere ab.
Also: Kopf in den Sand stecken und auf den Untergang der Qualitätsmedien warten? Keineswegs, denn es gibt zwei Möglichkeiten, Leser zum Kauf zu bewegen: Der erste Weg ist Masse: Bei der New York Times funktioniert die Bezahlschranke durchaus. Kein Wunder, denn sie ist ein globales Leitmedium und hat dementsprechend viele Nutzer. Dadurch erreicht das Medium jene kritische Größe, die nötig ist, damit die Paywall die Kasse zum Klingeln bringt. Das Prinzip lässt sich aber auf andere Medien nur soweit herunter brechen, wie diese auch eine Leitfunktion erfüllen und damit für eine gewisse Anzahl an Lesern zum Pflichtprogramm gehören und diese Zahl der Leser auch ökonomisch interessant ist.
Der zweite Weg ist, noch stärker auf Qualität und Service zu setzen. Vergleicht man das Nachrichtengeschäft mit einer Zugfahrt, so gibt es dort neben der günstigen Economy Class auch eine First Class. Man kommt in der Economy und in der First genau zur gleichen Zeit am gleichen Ort an, die Grundfunktion beider Produkte ist also die gleiche. Dennoch gibt es Menschen, die um einiges mehr für die gleiche Strecke ausgeben, denn sie schätzen die zusätzlichen Annehmlichkeiten. Die Zeitungsbranche ist also aufgerufen, jene Annehmlichkeiten zu schaffen, die Economy-Kunden zu First-Class-Kunden machen und nicht darüber nachzudenken, wie man Menschen aussperrt und damit eher in die Arme der Gratis-Anbieter treibt, als sie zu zahlenden Print- oder Online-Lesern zu machen. Der Erfolg von iTunes im Musikbereich ist nämlich nicht auf einen globalen Sinneswandel zurückzuführen, dass man Urheberrechte schützen und für gute Musik auch Geld bezahlen will. Es ist einfach bequemer, ein paar Cent für das gewünschte Musikstück zu bezahlen, als sich stundenlang in illegalen Tauschbörsen herumzutreiben.
Zum Autor
Thomas Hofbauer ist Leiter der Online-Redaktion der "Salzburger Nachrichten".


