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Die Demokratie leidet am Apathieproblem

Solange überall die klare Mehrheit der Parteimitglieder dauerhaft inaktiv ist, ist innerparteiliche Demokratie auf Machteliten und Zwischenrufer beschränkt.

Letzte Woche stand ein ZDF-Interview von Marietta Slomka mit Sigmar Gabriel am Rande des Abbruchs. Der sozialdemokratische Parteichef bezeichnete die Fragen der Journalistin als Quatsch und Blödsinn. Diese wandelte beim Nachfragen auf dem schmalen Grat zwischen Konsequenz und Rechthaberei. Zeitungen beschrieben das Gespräch geschlechtsunabhängig als "sich anzicken" und "pampig". Kein Thema war, worum es ging. Nämlich den Mitgliederentscheid in der SPD zum Koalitionsvertrag. Also die Frage, wie Parteien intern entscheiden. Was auch jenseits bizarrer bis eskalierender Politikerauftritte im Fernsehen eine Parallele zu Österreich - es gibt ähnliche Abstimmungswünsche in der SPÖ - ist.

In Deutschland garantieren Artikel 21 des Grundgesetzes und das Parteiengesetz 1967, dass alle Satzungen demokratische Mindeststandards beinhalten. Dazu zählen Mitgliederrechte, Versammlungen und Wahlen eines Vorstands oder Präsidiums. Mit gutem Willen kann man das genauso aus dem extrem kurzen österreichischen Gesetz als für eine Partei notwendige Formalstruktur herauslesen.

Nach dem Souveränitätsprinzip müssten daher die Mitglieder das Sagen haben. Trotzdem findet keine basisdemokratische Willensbildung von unten nach oben statt. Politikwissenschaftlich wird diskutiert, ob das a) nach dem Transmissionsparadigma so sein müsse oder es b) den Integrationstheorien zufolge genügt, wenn Parteiführungen sich periodisch Wahlen stellen und nicht abschotten. Statt einer Sachdebatte entsteht freilich der Eindruck, dass Parteien stets schlechte oder falsche Demokratieverfahren zur Anwendung bringen. Stellen sich zwei Mitglieder einer Vorsitzwahl, gilt das als Kampfabstimmung. Gibt es keine Gegenkandidatur, schimpfen wir über stalinistische Verhältnisse. Trauen sich Grüne und Neos echte Vorwahlen, werden oft altbekannte Altvordere gewählt. Wirkliche Quereinsteiger mit Chancen sind als Clown - der Grünpolitiker Klaus Werner-Lobo im Zivilberuf - oder auf andere Art prominent. Eine Vertreterin des Teams Stronach verblüffte den Kolumnisten mit dem gewagten Argument, dass sie den Parteigründer regelmäßig anrufen könne. Damit wäre dessen Allmacht ohne parteiinterne Demokratie gerechtfertigt. Die Dame zweifelte erst bei der zynischen Rückfrage, ob es folgerichtig in Ordnung wäre, wenn ich als Ausgleich für die Abschaffung ihres Wahlrechts meine Telefonnummer anbiete.

Das wahre Dilemma ist jedoch das Apathieproblem. Solange überall die klare Mehrheit der Parteimitglieder dauerhaft inaktiv ist, ist innerparteiliche Demokratie auf Machteliten und Zwischenrufer beschränkt.