In Wien und Graz sind momentan Volksbefragungen ein Topthema. Von der Park- bis zur Umweltzone. Das ist gut. Bürger und Medien wollen mehr Direktdemokratie. Wir haben da ein Defizit, weil die Mitsprache des jahrelang von den Nationalsozialisten indoktrinierten Volks 1945 eine schlechte Idee gewesen wäre. Heute ist das anders.
Gleichzeitig mehren sich die Sorgen, dass durch Abstimmungen das in der Realpolitik ohnehin auf verfassungswidrige Art grausam geschwächte Parlament - siehe den Klubzwang wider das freie Mandat - weiter an Bedeutung verliert.
Auch das ist verständlich. Der Ressourcenmangel der Abgeordneten ist ja genauso wenig zeitgemäß. Dazu zählen ein Minimalbudget für Mitarbeiter plus Parteiabhängigkeit als Folge und das im Gegensatz zu Ministerien peinliche Fehlen eines legislativen Dienstes, um Gesetze rechtlich präzise zu erarbeiten.
Doch warum werden direkte Demokratie und Parlamentarismus als Gegensatz verstanden? Es geht nicht um ein Entweder/Oder-Modell. Niemand glaubt an die Machbarkeit der Agora des griechischen Marktplatzes, wo jeder mit jedem jedes Politthema diskutiert, um nachher alles abzustimmen. Wobei die Antike als Idealbeispiel frivol ist, weil Frauen und Sklaven nicht mitreden konnten. Erstgenannte durften das übrigens in der Schweiz als zweitem Musterfall bis 1971 und in Appenzell-Innerrhoden bis 1990 nicht.
Die Volksgesetzgebung - ein Gesetzesprozess durch Volksbegehren und daraus resultierend verbindliche Abstimmungen - sollte sich auf ausgewählte Bereiche beziehen. Viele andere Gesetze könnten dem Nationalrat vorbehalten werden, oder sind als internationale (Grund-)Rechte und Abkommen sowieso sakrosankt.
Der Rechtswissenschafter Heinz Mayer wirft hier richtig ein, dass die Liste der Ausnahmen lang wäre, wo das Volk keine Gesetze machen kann. Ein Totalverzicht ist trotzdem nicht schlüssig. Es geht um mehr Direktdemokratie und (!) die parlamentarische Gesetzgebung, nicht um das Wort "oder".
Das gilt gleichfalls für Stimmzettel und E-Voting als Methode. Verzichtet man auf elektronische Demokratie, wird eine Chance zur Einbindung junger Generationen in die Politik ausgelassen. Wer nur neue Technologien will, diskriminiert ältere Bevölkerungsgruppen. Daher soll es beides geben.
Ebenso wenig müssen Volksabstimmungen auf immer und ewig in Ja/Nein-Fragen münden. Das mag in Einzelfällen wie 1978 beim Atomkraftwerk Zwentendorf sinnvoll sein. Als Kompromiss halbherzig atomaren Strom zu produzieren, das wäre wie nur ein bisschen schwanger sein.
Doch bereits 1994 in der Volksabstimmung für oder gegen einen EU-Beitritt Österreichs waren auch Drittvarianten eines neuen Assoziationsvertrags denkmöglich. Diese Option ist wichtig, weil es Gegner eines Gesetzes zu konstruktiven Gegenvorschlägen anstatt populistischer Nein-Propaganda zwingt.
Daher müsste es bei der Demokratiereform häufiger "und" statt "oder" heißen.