Strategieanalysen sind spekulativ, wenn sie unterstellen, dass Parteien nach Plan vorgehen. Dass das nicht so ist und womöglich bloß ein Wahlkampfheini oder beamteter Aktivist aus der dritten Reihe voller Spontanität ungeschickt bis dumm handelte, lässt sich selten belegen. Daher tun wir, als wäre die Abschiebung der Flüchtlinge aus der Votivkirche eine ÖVP-Inszenierung. Beabsichtigt diese den Sturmlauf zum eigenen Tor?
1. Von öffentlichen Debatten rund um Recht und Ordnung profitieren rechte Parteien. Als jedoch Franz Josef Strauß in Bayern rechts von der CSU keine Alternative wollte, tat er das im Besitz der absoluten Mehrheit und musste sich nur von nationalistischen Splittergruppen abgrenzen. Die ÖVP mit ihren 25 Prozent verteidigt damit einen Platz, den sie gar nicht innehat, weil er von der FPÖ besetzt ist. Wem wird demnach das Ganze nutzen? Eben.
2. Sinn ergibt das Sicherheitsthema mit Ausländerbezug für die ÖVP, wenn es gegen die SPÖ geht. Obwohl diese eine Mitte-links-Partei ist, vertreten da bis zu zwei Drittel der sozialdemokratischen Wähler rechte Positionen. Doch geht der rote Wahlkampfleiter Norbert Darabos folgerichtig nicht einmal auf Halbdistanz und noch weniger in Opposition zu den Schwarzen. Man lässt einfach die Innenministerin im Kritikregen stehen. Zudem sind SPÖ und ÖVP im Wahlkampf keine Hauptgegner, weil kaum Wechselwähler zwischen ihnen zu erwarten sind.
3. Der konkrete Abschiebungsfall ist aus Sicht der ÖVP ungeeignet, einerseits Abwanderungen zu den Grünen und andererseits zur FPÖ zu verhindern. Was soll ein Spagatversuch bringen, bei dem bürgerlich-liberale Wähler den Kurs als zu hart und Rechtsdenkende als zu weich empfinden?
4. Negativkommentare müssen nicht nachteilig sein, wenn sie Zielgruppen der ÖVP in ihrer Meinung bestärken. Insofern muss sich Michael Spindelegger wegen Vorwürfen von Eva Glawischnig über alternative Zeitungen bis zum Bashing auf Twitter & Co. wenig Sorgen machen. Das hilft ihm, weil es seine Anhänger als Feindangriff sehen. Der empörte Kardinal Schönborn freilich ist kein Linksradikaler, was für eine christdemokratische Partei extrem unangenehm ist. Genauso dürfte jede Organisation ein Kritiker sein, aber nicht die Caritas. Oder glaubt man mit Hausdurchsuchungen im Kloster Kirchgänger als Stammwähler zu halten?
5. In der ÖVP gab es 2011 durch Staatssekretär Sebastian Kurz einen Strategiewechsel. An die Stelle von weiblichen Hardlinern mit altbekannter Knallhärte trat ein Jungpolitiker mit betonter Sachlichkeit, der den Populismusverdacht allzu rechten Agierens nicht zuließ. Wieso ändert eine Partei ihre Strategie knapp vor einer Wahl nochmals und ohne Not?
Vielleicht sollten wir der ÖVP einfach mit ironischem Unterton glauben, dass in ihrer Partei nichts inszeniert oder geplant wird.