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Wir Besserwisser und unsere Tabuthemen

Warum reden die Wahlkämpfer nicht über ein höheres Pensionsalter und ein Ausländerwahlrecht?

Prognosen sind schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen!" Das sagte angeblich Winston Churchill. Oder Mark Twain, Niels Bohr und Karl Valentin. Diese Widersprüchlichkeit passt zum Umgang mit Vorhersagen. Saisonal bedingt trauriger Höhepunkt sind Umfragespiele zum Wahlergebnis.

Die Erkundigung, welche Partei ich als Unentschlossener in zwei Monaten wähle, entspricht dem Versuch der Wahrsagung des Verliebens in 9 1/2 Wochen. Man kann als zukünftigen Herzallerliebsten viele Politiker ausschließen und ein paar andere in Betracht ziehen. Doch nix ist fix.

Die hohe Scheidungsrate als Gegenbeweis zur ewigen Verbundenheit von Ehepaaren gleicht dem Rückgang der Stammwähler, die früher Resultate einer Wahl kalkulierbar machten. Angesichts der Wechselwählerzahl gleicht das Ganze heute der Meteorologie, welche ebenfalls bloß die kommenden Tage prognostizieren kann, während Wetterangaben für den 29. September Quatsch sind. Wir wollen freilich bereits jetzt Sonne oder Regen wissen, und tun unsere Meinung dazu kund.

Mediale Wahlprognosen funktionieren nach demselben Prinzip, weil ihre Kritiker a) im Recht sind und b) im nächsten Atemzug eigene Vermutungen hinausposaunen, wie es ihrer Ansicht nach wirklich ausgeht. Das Paradoxon dabei fällt oft nicht einmal auf. Sagt jemand ehrlich "Ich weiß es nicht!", so gilt das als feige. Es gibt eine menschliche Sehnsucht, Zukünftiges besserwisserisch vorher zu kennen. Das ruiniert den Wert statistischer Prognosen, etwa über die Entwicklung der Wahlberechtigten. Denn wer bis 2030 wählt, muss spätestens heuer geboren werden. Leicht ist daher die Prophezeiung, dass das Durchschnittsalter der Wähler in absehbarer Zukunft 55 bis 60 Jahre betragen und dem faktischen Pensionsalter entsprechen wird.

Es sei denn, wir verleihen dramatisch mehr Staatsbürgerschaften an die Jüngeren der etwa eine Million hier lebenden Ausländer. Was politisch irreal ist. Statt solcher Zukunftsgedanken spekulieren wir lieber über das Wahlergebnis. Was bedeutet es aber, wenn man mit den Stimmen der Jungen keine Wahlen gewinnt? Ergibt es demokratisch Sinn, das durch Einbürgerungen auszugleichen? Warum sind Sachdebatten über eine Anhebung des Pensionsalters und das Ausländerwahlrecht für wahlwerbende Parteien ein Tabu? Sind Fernsehen und Zeitungen Beitragstäter der Tabuisierung, weil ihre Publikumsstruktur mehr nationalen Rentnerklubs als multikulturellen Jugendtreffen gleicht? Oder will keiner polarisierende Themen angreifen, die den migrationspolitischen Gegenpolen FPÖ oder Grünen plus den Neos mit jeweils vielen Jungwählern nützen?

Wäre nicht im Wahlkampf als Wettbewerb, wer die beste Politik vorschlägt, ein Diskurs über alternde Gesellschaft und Zuwanderung besonders wichtig? Manche Dinge will leider keiner so genau wissen, obwohl wir es besser wissen sollten.