Die realen Zustände in einem Staat haben manchmal wenig mit den ehrenwerten Absichten der Verfassung zu tun. Im Wahljahr 2013 ist ein solcher Fall, dass das Volk nur theoretisch "seine" Volksvertreter kürt. Praktisch ist die Distanz zwischen Wählern und Abgeordneten manchmal nur mit dem Fernglas messbar. Mandate gehen oft an Mitläufer, die niemand kennt. Das kritisieren übrigens Oppositions- oder Neuparteien, die selbst ihre Reihen mit unbekannten Vasallen füllen. Doch bei der letzten Nationalratswahl haben die meisten Leser SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne oder BZÖ angekreuzt. Je nach Parteigröße zogen 21 bis 57 Abgeordnete in das Parlament ein. Kennen sie Harry Rudolf Buchmayr, Irina Adelheid Fürntrath-Moretti, Bernhard Vock, Christiane Brunner oder Kurt List? Für das Ende ihrer Anonymität muss das Wahlrecht personalisiert werden. Leider liegen dabei unter den juristischen Möglichkeiten gewaltige Hunde begraben.
Ja, es ist gut, dass für die Nationalratswahl eine Stärkung der Vorzugsstimmen in Begutachtung ist. Dadurch können Kandidaten auf aussichtslosen Listenplätzen einer Partei leichter vorgereiht werden. In der Realität fehlt jedweder Beweis, dass es dadurch mehr kreative Quereinsteiger gibt.
Ja, man kann so weit gehen, dass die Personen- vor der Parteistimme zählt, wie in Niederösterreich. Wer etwa SPÖ ankreuzt und Erwin Pröll auf den Wahlzettel schreibt, dessen Stimme ist für die ÖVP. Der Haken: Neupolitikern hilft das nicht. Stattdessen bekommt Pröll 300.000 Stimmen, von denen er als ÖVP-Erstgereihter null bräuchte. Noch bizarrer ist, wenn Frank Stronach um solche Stimmen buhlt, obwohl er gar kein Mandat annimmt.
Ja, es ist sogar möglich, auf ein personenbezogenes Mehrheitswahlrecht umzustellen. Das verlangt freilich den Minimalanspruch, dass nicht automatisch millionenschwere Spaß-Wahlkämpfer oder Dschungelcamp-Nachahmer die meisten Stimmen erhalten. Zugleich dürfte die Medienmacht des Boulevards nicht so groß sein, Joey Heindle & Co. ins Amt zu hieven.
Ja, wir wünschen uns eine hohe Wahlbeteiligung. Dummerweise sagt das nichts über die Qualität politischer Partizipation aus. Denn häufig dominieren sehr unsachliche Motive bei der Stimmentscheidung.
Ja, sinnvoll wäre nach deutschem Vorbild ein System der Erststimme für Personen und einer zweiten für die Partei. Das aber verlangt Politiker, die inhaltlich etwas zu sagen haben, und Bürger, die nach den Themenmeinungen eine vernünftige Wahl treffen. In der Verfassungswirklichkeit so einen Elchtest zu bestehen, das muss mindestens gleich wichtig sein wie eine formalrechtliche Demokratiereform.