Jenseits von entscheidenden Wechselwählern, etwa im städtischen Umland und speziell Frauen mittleren Alters, fasst das für die ARD arbeitende Wahlforschungsinstitut Infratest dimap die gängigen Theorien der Politikwissenschaft trefflich zusammen:
1. It's the Economy, stupid! Seit Bill Clinton als ursprünglich obskurer Herausforderer 1992 damit über den amtierenden Präsidenten George Bush senior hinwegfegte, werden Wahlergebnisse so erklärt. Empfindet gegenüber dem Zeitpunkt der letzten Wahl eine Mehrheit Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Situation, profitieren davon Parteien in der Regierung. Fühlt man sich schlechtergestellt, frohlockt die Opposition. Doch definieren Wähler ihre eigenen Vergleichsgrößen. Die emotionale Bestandsaufnahme der Wirtschaftslage hat mit volkswirtschaftlichen Fakten nichts zu tun.
2. Kompetenzzuschreibungen für einzelne Parteien. Dreht sich der Wahlkampf um Umwelt, wird das den Grünen nützen. Dasselbe gilt für Pensionen bzw. Sozialleistungen und SPÖ, Wirtschaft und ÖVP, Sicherheit plus "Ausländer" und FPÖ. Der politische Wettbewerb dreht sich darum, wer seine Wunschthemen in den Medien platziert. Oder Glück dabei hat.
3. Die (Un-)Zufriedenheit mit Kanzler, Vizekanzler und Ministern. Je nachdem würden entweder Regierungs- oder Oppositionsparteien gewinnen. Weit gefehlt. In Österreich sind zwei Drittel und mehr mit der Arbeit der Regierungsmitglieder nicht glücklich. Das ist die gute Nachricht für FPÖ, Grüne, BZÖ & Co. Dumm gelaufen, dass etwa dieselbe Zahl der Wähler sie für nicht besser hält.
4. Personen. In der modernen Medienwelt voller Fernsehkonfrontationen und Porträtserien kommt es auf Köpfe an, während Parteiprogramme unter "ferner liefen" rangieren. Jein. In Zeiten stark rückläufiger Parteibindungen und Stammwähler sind Spitzenkandidaten ein gewichtiges Wahlmotiv, doch gemäß den meisten Befunden der Wahlforschung verlieren sie das Bedeutungsmatch mit den Themen.
5. Die Akzeptanz künftiger Koalitionen. Obwohl Alleinregierungen auszuschließen sind, wird das als Motiv von den Parteien abgeschmettert. Sie verweigern sich jedweder Verbindlichkeit, mit wem sie koalieren würden.
6. Ereignisse. 9/11, Bankencrash und Fukushima. Es muss nicht derart dramatisch sein, es gibt jedoch viele Dinge, die im September passieren können und bisherige Parteistrategien zu Schall und Rauch machen. Allerdings müsste das spätestens zehn Tage vor der Wahl geschehen. Sonst ist der Zeitweg über die Medienberichte hin zur Wahrnehmung zu lang, um eine (Wahl-)Verhaltensänderung auszulösen.
Ach ja, und die Medien sowie Mobilisierungskräfte der Parteien im realen Wählerkontakt spielen auch eine Rolle. Das Schöne an Wahlen ist schließlich, dass man nicht weiß, wie sie enden.