Thesen der Amerikanisierung haben momentan Hochsaison. Zu unterscheiden ist, ob wir von einer solchen des Wahlsystems, der Kampagnen oder des Wahlverhaltens sprechen. Ersteres gibt es infolge der Personalisierung des Wahlrechts, etwa durch die teilweise Direktwahl von Bürgermeistern. Wirklich amerikanisiert ist freilich nur Niederösterreich, wo die Personen- vor der Parteistimme zählt. Schreibt man im März 2013 Erwin Pröll auf den Wahlzettel und kreuzt die SPÖ an, so gilt das als ÖVP-Stimme.
Zwecks Abschauen und Shopping für ihre Wahlkampfführung treten sich diese Woche rotschwarzblaugrünorange Strategen in Washington, Chicago & Co. auf die Zehen. Doch ist die Lernbereitschaft Selbstbetrug, denn niemand tritt das Management der Kampagne an parteifremde Dritte ab. In den USA aber wird knallhart ausgelagert. Der Effizienz wegen. Ein externes, kleines, flexibles und hierarchisches Team trifft klare Entscheidungen. Hierzulande ist oft bereits die Listenerstellung ein mühsamer Kompromiss. Die US-Einkaufstour beschränkt sich also auf Einzelideen, etwa schon vor langer Zeit von Jörg Haiders FPÖ bzw. BZÖ zur Inszenierung von Veranstaltungen.
Taktiken der Mobilisierung - in den USA und für den Grazer Gemeinderat bei niedriger Wahlbeteiligung gleich wichtig - werden selten übernommen. Weder automatisierte Telefonlawinen ("robo calls") noch Hausbesuche mit perfekter Zielgruppenansprache ("canvassing"). Auch mit "social media" sind unsere Parteien letztlich erst im Versuchsstadium.
Sind wir trotzdem beim Wahlverhalten amerikanisiert? Es gibt allerorts eine Alters- und Geschlechterkluft. Ältere Männer wählen häufig mehr rechts der Mitte als jüngere Frauen. Genauso sind Städter überall liberaler als Landbewohner. Hinzu kommt: Je reicher, desto konservativer, weil Wohlhabende durch Veränderungen etwas verlieren könnten. Die Wählergruppen sind schwierig zu vergleichen. Transatlantisch galten einst "soccer moms" mit kickenden Kindern und hart arbeitende "waitress moms" als wahlentscheidend. Was durchaus Bürgerfrauen im Speckgürtel der Landeshauptstädte und Alleinerzieherinnen in diesen entspricht.
Zugleich finden sich zwei wechselwählende US-Typen, die seit 1980 stets auf der Seite des Erstplatzierten waren und rot-weiß-rot so nicht vorkommen. Das sind einerseits Katholiken, während mit religiösen Kirchgängern nicht einmal die ÖVP in Tirol Blumentöpfe gewinnt. Andererseits gleichen Wähler mit College-Ausbildung ohne Abschluss ("some college") als "white collar"-Büromenschen nicht alpenrepublikanischen Angestellten.
Und seit 1956 führt die Zeitschrift "Weekly Reader" Umfragen unter ein- bis zwölfjährigen Kindern durch. Abgesehen von Bill Clinton 1992 lagen die Kids beim Siegertipp ausnahmslos richtig. Zum Glück machen wir nicht jeden Unsinn der Amerikanisierung mit.