Wenn Asylsuchende in die Votivkirche flüchten oder im Nahost-Konflikt religiöse Werthaltungen aufeinanderprallen, ist das hierzulande ein Aufreger. Provoziert die FPÖ mit Bibelsprüchen, fallen alle zum tausendsten Mal darauf herein. Doch trotz des Wahlkampfes stellt niemand die naheliegende Folgefrage, welchen Einfluss die Religion wirklich auf politische Einstellungen hat.
In den USA ist "religious voting" ein großes Thema. In noch größeren Tabellen wird gezeigt, welche Glaubensgruppe wen gewählt hat. Gleich beim Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht stehen Prozentzahlen, dass etwa nur 43 von 100 Protestanten für den Sieger Barack Obama waren und 57 für den unterlegenen Mormonen Mitt Romney.
In Österreich verspricht die Sache mit fünfeinhalb Millionen Katholiken und anderen Religionen als klare Minderheit weniger Spannung. Regelmäßige Kirchgänger, welche jenseits des Atlantiks Romney bevorzugten, wählen bei uns die christdemokratische ÖVP. Für diese ist die Konfession generell am meisten ein Wahlmotiv. Das ist wenig sensationell und für Forschungsschlagzeilen ungeeignet.
Die Unfähigkeit der Christenpartei, bundesweit genug Unterstützungserklärungen zu sammeln, scheint ebenfalls auf die geringe Bedeutung der Religion hinzuweisen. Kaum ein Zehntel aller Wähler gibt an, dass religiöse Amtsträger - ob Pfarrer oder Muezzin - Einfluss auf ihre politischen Einstellungen hätten. Im Vergleich zu rund zwei Drittel, die eine solche Prägung durch Eltern bzw. Verwandte, Partner und Freunde einräumen, ist das wenig.
In absoluten Zahlen freilich sprechen wir von über 600.000 Wahlberechtigten, für deren Stimmen Parteien viel zu tun bereit wären. Auch ist die Zahl wahlberechtigter Österreicher mit islamischem Glauben im Steigen begriffen. Die gesellschaftliche Konfliktlinie ist unbestritten. Soziologen differenzieren in Studien nicht allein zwischen In- und Ausländern, sondern genauso zwischen Christen und Muslimen. In FPÖ-nahen Gruppen bei Facebook werden zudem nicht "Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund" thematisiert, sondern solche von angeblich nächstliebenden Katholiken mit widerlichster Wortwahl in die Fundamentalistenecke gestellt. Dabei ist unter Muslimen das Kreuz bei der Wahl eine Überraschung. Sie sind mehrheitlich wertkonservativ und traditionell geprägt, und stimmen trotzdem häufig für liberalere Parteien, als es ÖVP und FPÖ sind. Bei den Schwarzen schwingt ihnen zu viel Christentum mit, die Blauen sind wegen der Anti-Islam-Standpunkte nicht wählbar.
Unterscheiden muss man natürlich zwischen Religionsbekenntnis und Religiosität. Wer bloß formal einer Kirche angehört, dessen Wahlverhalten wird nicht beeinflusst. Doch die Zusammenhänge von Wahlen und Religion würden eine tiefer gehende Debatte verdienen, als alle Beteiligten sie anhand des nächsten geliebten Plakats führen.