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Entmachtung der Ballbuben: Begrabt die Freiheit an der Seitenlinie im Stadion

Über die Genialität eines Ballbuben, der einer der letzten seiner Art bleiben wird.

Jose Mourinho an der Seitenlinie.
Jose Mourinho an der Seitenlinie.

Ein Lob auf Colum Hayes, der war ein Bub damals. Einer, der seinem Instinkt folgte und so die Schönheit des Unberechenbaren offenbarte. Wenn es nach den Machthabern geht, wird Hayes einer der letzten seiner Art gewesen sein und wohl einer der berühmtesten bleiben. Immerhin hat ihn auch der noch viel berühmtere José Mourinho euphorisch geherzt, wie das feiernde Fußballtrainer im Erfolg tun. Wir stehen mit Hayes an der Seitenlinie des Weltfußballs. Innerhalb der Seitenlinien bleibt Kicken stets ein schön aufregendes Spiel, egal wo, egal welche Liga. Wo allerdings die Regeln fürs Geschäft mit dem Spiel entworfen werden, taugt der Fußball schon lange als Versuchslabor, ja als Schablone für den abschreckenden Ausverkauf von Freiheit. Wir stehen mit dem Ball auf einem der größten Marktplätze der Welt (kürzlich war diese Welt wegen der Hysterie um Cristiano Ronaldo sogar ein Provinzfeld). Durchgerechnet so weit, dass man sich in Akademien sein Menschmaterial selbst produziert, um es dann teuer zu verkaufen. Überraschungen? Spontanität? Freigeistigkeit? Alles lange schon einer ordentlichen Gewinnmaximierungspolitik abträglich. Doch mit der Erinnerung an Colum Hayes geht's tatsächlich um den Fluss des Spiels und nicht um den Strom, der die Kassen überfüllt. Es geht um die Raffinesse, mit der das Spiel sich wenden lässt. Es geht um eine Wahrheit auf dem Platz. Jenseits der Seitenlinie des Spiels, in den Katakomben der Stadien, die Geschäftslokale sind, in den VIP-Lounges voller Provinzpolitiker und geschäftstüchtiger Anzugträger, sind wir dort, wo die Schönheit des freien Spiels gegängelt und gezähmt und entattraktiviert wird. Und jetzt geht es auch den Balljungen dran. Sie dürfen - jedenfalls in Deutschland - künftig einen ins Aus rollenden Ball nicht mehr direkt weiterspielen. Sie sollen ihn auf kleine Hütchen stellen. "Multiball" nennt sich das. Allein das Wort ein Hohn. Multiball? So ein Wort möchte man gerne verstehen als Ausdruck für die wunderbar überraschende Mannigfaltigkeit, mit der der Ball, weil er rund ist, in jedem Moment seine Richtung ändern kann. Stattdessen steht Multiball hier für eine radikale Einschränkung. Und komme mir jetzt in der Milliarden-Kickwelt bloß keiner mit Fairness! Colum Hayes hatte kreativ und geistesgegenwärtig reagiert. Er spielte den Ball flott weiter, nun, er warf den Ball einem Spieler zu, wie es sein Auftrag als Balljunge an der Seitenlinie war. Das nämlich war Hayes. Er war kein hochbezahlter Kaderspieler. Die gegnerische Abwehr war überrumpelt. Ein schneller Einwurf, dann ein schneller Pass. Dann trifft Harry Kane. Ausgleich nach einem 0:2. Und am Ende gewinnt Tottenham gegen Olympiakos Piräus. Ist jetzt sechs Jahre her. Einer dieser Momente, deren Außergewöhnlichkeit, deren Geistesgegenwärtigkeit sich als Geschichte jenseits von Tabellen oder Statistik und Bilanzrechnungen einschreibt. Der Überraschungseffekt, das Außergewöhnliche, das Unberechenbare widerstrebt aber allen Mächtigen, die ihr Multiball mit Multimillionen spielen. Die Freiheit gefährdet das Geschäft. Die Unterdrückung der Kreativität ist ihr Geschäft.