SN.AT / Kolumne / Fliehers Journal / Fliehers Journal

Heute billig im Ausverkauf: Das letzte Einhorn

In der Realität ist das Einhorn bloß eine schöne Einbildung. Aber mit Einbildung lässt sich immer gutes Geschäft machen.

Bernhard Flieher

In der Realität hat sehr vieles Platz. Sogar das Einhorn. Überhaupt könnte man durchaus die Haltung vertreten, dass sich die beiden ergänzen. Mit der Realität ist das so eine Sache. Wir leben mittendrin. Wir wünschen sie oft zum Teufel und bedenken nicht, dass wir dann schon in der nächsten Realität stecken. Ein Teufelskreislauf sozusagen. Entkommen? Schwer bis unwahrscheinlich.

Und genau deshalb trabt das Einhorn ins Spiel des Lebens. Auf einem Einhorn lässt sich von der Flucht aus dem Alltäglichen träumen. Das Einhorn kann unter den Fabelwesen bedenkenlos als das Sympathische gelten. Es durchwandert eine Welt, in der alles möglich ist. Es ist immer ein Einzelkämpfer. Im Rudel taucht es nie auf. Es gehört dem allein, der imstande ist, es zu sehen. Es verfügt über magische Kräfte. Und es wohnt am Ende des Regenbogens. Das ist jener Ort, der von der Realität am allerweitesten entfernt liegen dürfte. Von diesem Ort hat Judy Garland im "Zauberer von Oz" so schön gesungen: "Dreams that you dare to dream really do come true." Aber das gilt eben nur dort und nicht auf einem T-Shirt oder einem Bademantel.

Das Einhorn hat aber neuerdings Hochkonjunktur zwischen Handyladen, sozialem Netzwerk und Fetzentandler. Ich gestehe, dass ich das ein bisserl verpasst habe. Aber seit gut einem halben Jahr boomt das Einhorn als Verkaufsartikel. Nicht mehr nur träumende kleine Mädchen wollen eines haben. Ich habe das verpasst, weil ich selten in Geschäfte komme, wo die Flucht aus der Realität so einfach an der Kasse bezahlt werden kann. Kitsch, meist unschuldig weiß und leicht rosa tauchen dort die Traumtiere auf. Sie zieren Handyhüllen, Schlüsselanhänger, Pantoffeln, Wurstpackungen und Kondomverpackungen. Das Einhorn hat seinen heiligen Platz am Ende des Regenbogens verlassen und ist mitten unter uns. Damit wir Abgestumpften wissen, warum das so ist, haben wir die Sozialwissenschaft. Das Einhorn sei ein "Konterpart zur Realität", heißt es dann unter den Experten. In einer Gesellschaft, die von Geschwindigkeit und harter Konkurrenz geprägt sei, stille das Einhorn ein Bedürfnis nach Sicherheit, Harmonie und Idylle. Bei einem Einhorn, das wundersam einsam auftaucht, mag man das auch alles glauben. Aber ein einzelnes Einhorn genügt nicht. Jetzt ist das Fabelwesen ein Rudeltier. Am Ende des Regenbogens soll übrigens auch eine Schüssel mit Gold stehen. Der Ausverkauf des Einhorns füllt sie prächtig.