"Was heißt das auf den Schildern?", fragt Lolinger. "Je suis Charlie", steht da. Und also reden wir über eine abstrakte Solidarität, die angesichts des Schocks das Einzige bleibt, was man tun kann. Wir reden über Terror und Fundamentalisten, über die, die Gott als Schutzschild missbrauchen. Und von denen, die dort hinterherlaufen, wo sie den geringsten Widerstand erwarten, die Feiglinge. Und wir reden davon, dass es keinen Schutz gibt, sondern nur Argumente. Wir reden von der Macht der Bilder, von der Macht der Worte und davon, dass Denken immer hilft. "Aber wenn einer schießt, hilft das nichts", sagt Lolinger und fürchtet sich plötzlich, weil "du auch in einer Redaktion arbeitest und auch Freunde von uns". Aber unverdrossen rede ich weiter, versuche zu tun, was uns als Menschen auszeichnet: aufklärend zu hinterfragen und auch über sich selbst und seine Artgenossen, über jede Idee und jede angebliche Sicherheit nachdenken zu können.
Wo von Unverdrossenheit gesprochen wird, schleicht sich ein ungutes Gefühl ein. Unverdrossen? Das klingt nach Sportlern, die auch nach zigfachem Versagen ihr mangelndes Talent nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Und es klingt nach Sisyphos, der zum ewigen Weitermachen verdammt ist. Immerhin weiß der, was er zu erledigen hat. Sein rollender Fels ist ganz konkret. Jetzt aber sagt der Minister, dass wir uns einem abstrakten Risiko gegenübersähen. So muss er das sagen, weil das Konkrete womöglich in Panik enden würde. Aber die Schüsse in der Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" waren konkret. Die Einschläge kommen näher. Und damit wächst die diffuse Angst, deren Dünger Halbwissen und Vorurteile sind. Satire, diese Art der hintergründigen Überzeichnung - böse, blasphemisch, brutalkritisch - stellt uns auf eine Probe. Ausprobiert wird aber nicht die Verleumdung, wie das gern und schnell beleidigt von Betroffenen behauptet wird. Ausprobiert wird Toleranz. Die hat sich eine aufgeklärte Gesellschaft mühsam erkämpft. Immer mühsamer wird es aber, sie am Leben zu halten, wenn die Welt als Dauerablenkungsparty stattfindet, als Ort der Verblödung, die sich als vermeintlicher Wohlstand tarnt und doch nur Einfältigkeit zum Zweck hat und den Mächtigen einen idealen Zustand zum Herrschen bietet.
Die Notwendigkeit von Ironie und Satire steht dabei als Instrument der Kritik außer Frage. Denkt man jedenfalls. Erstens denkt man das, weil man sie immer wieder - auch in diese Glosse - als Mittel gebraucht, um Aufmerksamkeit zu erregen, um im Graubereich zwischen Lachen und dem Vergehen dieses Lachens ein paar Hirnzellen in Bewegung zu bringen. Zweitens denkt man, dass man über die unverzichtbare Bedeutung von Satire, einem in jede Richtung möglichen Spott, nicht nachdenken muss, weil doch auf ein paar erkämpfte demokratische Grundfesten Verlass sein muss. "Kann man sich darauf verlassen, dass das alle Leute wissen?", fragt Lolinger. Wie gern täte ich ihr von ein paar Idioten erzählen. Einfach sagen, dass da Gute und Böse sind - und einfach und aus. Lolinger liest gerade über Galileo Galilei. Den findet sie mutig, weil er nicht alles glaubte, weil er das Gegebene zu hinterfragen begann. Gegen den mächtigen Widerstand der Kirche. Gegen seine Angst. Und mit Argumenten.
Die bittere Erkenntnis beim Entstehen dieser Zeilen ist gar nicht die Hilflosigkeit, einem fragenden Kind unverdrossen eine abstrakte Angst nehmen zu müssen. Das Bitterste ist, dass einen das Taumeln einer Welt im Schüsse- und Radikalworthagel von Idioten auf allen Seiten zwingt, überhaupt ein Plädoyer fürs freie Denken formulieren zu müssen. Fundamentalisten - politisch überkorrekte Wortklauber ebenso wie religiöse Ballerer - bedrohen, was eine zivilisierte Gesellschaft bedingungslos zu schaffen hätte: Angstfreies Leben und damit die Basis für Mut und Möglichkeit, seine Stimme jederzeit frei zu allem erheben zu können.

