Heuer schwirren mehr Wespen. Jedenfalls behaupten das durchgedrehte Hobby-Naturbeobachter, wenn sie bei Kaffee und Kuchen nicht zu Kaffee und Kuchen kommen vor lauter Herumfuchteln. Dafür aber schleimen weniger Schnecken, halten die Helden der Schrebergärten missmutig entgegen, weil sie ihrer Mordlust nicht wie gewohnt frönen können. Beiden Theorien widersprechen die Experten aus Biologie und Gartenbau. An der Fehleinschätzung freilich ist - wie in diesem Sommer eh an allem - bestimmt die Hitze schuld, diese wolkenlosen Tage, die Trockenheit. Denn die Erscheinungen eines herrlichen Sommers zwingen ja noch die Widerwilligsten ins Freie, ins Bad, an den See und also in die Natur. Und dann bedroht uns die Natur an allen Ecken. Bösartig attackiert sie Kaffee und Kuchen, will uns immer nur das Schlechteste. Dabei kommen die Wespen ja jedes Jahr und heuer sind sie nur früher dran und mitten in den Ferien. So macht man sich Feinde! Denn in den Ferien haben viele zu viel Zeit, sich mehr Gedanken zu machen als sie es sonst schon nicht zusammenbringen. Mir zum Beispiel sind die Wespen wurscht - und ach das Gejammere, dass es zu heiß sei. Heiß ist super. Und die anderen können sich ja schneckenmässig verkriechen. Dann wäre auch das Problem gelöst, dass bei Hitze der Hang zur Aggression steigt. Wer daheim wütet, kann zum Beispiel auf der Autobahn keinen Blödsinn machen oder im Freibad fremde Kinder zusammenscheißen, weil die unfassbarer Weise von einem eigens zum Springen gebauten Springturm springen. Und doch hat dieser Sommer auch für mich eine Schattenseite. Und das liegt an den Schnecken, die sich verkrochen haben. Durch deren Hitzeangst scheiterte die Fortsetzung unseres Vorjahresprojektes. Da markierte ich mit Lolinger Schneckenhäuser - weiß mit Edding-Stiften. Morgens, wenn sie auf den Granitsteinen in der Einfahrt krochen, gaben wir ihnen Nummern. Morgen für morgen beobachteten wir, welche wir wieder entdecken konnten. Es waren viele, und es hatte eine enorme meditative Qualität, wie sie sich auf den morgentau-feuchten Steinen langsam Richtung Schatten schlichen. Wir hätten einen Film drehen sollen! So wie Andy Warhol vor gut 50 Jahren den Poeten John Giorno filmte. Fünf Stunden und 20 Minuten sieht man Giorno schlafen. Sonst nichts. Warhol sagt, das war Kunst. Soweit würde ich beim Schneckenbeobachten nicht gehen. Aber es war ein eigentümlich erholsamer Spaß zu sehen wie viel passiert bei etwas, von dem die meisten meinen, es passiere gar nichts. In Norwegen übrigens könnten sie unser Schneckenprogamm sicher gut gebrauchen. Dort wurde diese Woche das nächste Projekt von Slow-TV, das sich auf Urahn-Warhol beruft, angekündigt. Zug- und Fährfahrten wurden da schon tagelang übertragen. Vor zwei Jahren gab es eine Stricknacht. Keine schnellen Schnitte, keine Werbung. Nur Masche für Masche schauen, wie ein Norwegerpulli entsteht. Nun wird eine Rentier-Wanderung vom Hochland bis an die Küste begleitet, eine Woche lang ununterbrochen. Dazu Kaffee und Kuchen. Idealprogramm gegen jede Hysterie.
Mit Andy Warhol auf Granitsteinen Schnecken zählen
Norwegen, ein Traum. Es gibt nur wenige Wespen. Hitze ist selten. Und wenn das Wetter richtig schlecht ist, schaut man Slow-TV.
