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Was weiß denn ich, was ich alles nicht weiß

Über das Türaufhalten und verbotene Sätze auf der Karriereleiter.

Bernhard Flieher

Eine Kollegin meinte kürzlich, dass sie's nicht mehr gewöhnt sei, dass ihr ein Mann die Tür aufhalte. Ich weiß nicht, warum ich sie bedauerte. Sie trug eine Box in der Hand. Sie hatte es einfacher, weil ich die Tür aufhielt. Ein Reflex, keine Geste der Stärke, möchte ich offiziell betonen. So eine Erklärung muss man zur Sicherheit abgeben, sonst macht das Lamento über falsch verstandene Männlichkeit und überholte Rituale die Runde. Ich halte daher fest: Ich halte das Aufhalten von Türen unter allen Menschen für eine Gewöhnlichkeit. Geschlechterfragen stellen sich da nicht. Ich lass' auch einem Mann die Tür nicht zufallen. Und ich habe auch schon Jüngeren als mir die Tür geöffnet und sogar Kindern den Platz im Bus angeboten. Das stehe ich durch. Als die Kollegin meinte, dass sie das nicht mehr gewöhnt sei, stutze ich. Das Stutzen, nehme ich an, lag daran, dass mir just am Tag des Türaufhaltens ein Freund eine Liste mailte von einer Frau, die als "Expertin für Karriere" bezeichnet wurde. Auf der Liste standen Sätze, die man im Büro unbedingt vermeiden sollte, vorausgesetzt, man strebt eine Karriere an. Mir fallen auch ohne Liste viele solcher Sätze ein. Unpassend scheint mir: "Darling, für mich auch einen Kaffee" oder "Das weiß ich doch alles" oder "Ich hab das unter Kontrolle" oder die Gesprächseröffnung mit Anreden wie "Meine Liebe …" oder "Sie, mein Bester …". So etwas ist heutzutage ja sogar in einer Bar unbrauchbar. Einer der Sätze, die es laut der Liste im Büroalltag auf dem Weg nach oben zu vermeiden gilt, sei: "Ich weiß es nicht." Die Vermeidung dieses Eingeständnisses steht in grobem Gegensatz zu vielen bedeutenden Sätzen der Philosophie. Etwa jenem von Sokrates: "Ich weiß, dass ich nichts weiß.". Aber die Philosophie ist im kämpferischen Alltag um Wichtigkeit und beim Stapfen auf der Erfolgsleiter aus der Mode geraten, sollte sie es je gewesen sein.

Meine nächsten Kollegen sagen übrigens, dass ich das Wort "easy" sehr oft verwende. Gern würde ich herausfinden können, wie das Wort zu mir kam. Vom Leben kann es nicht kommen, denn das halte ich nur bedingt für "easy". Vielleicht blieb "easy" aus irgendeinem Lied hängen, vielleicht von den Eagles ("Take It Easy"), oder einfach nur weil es sich so leicht sagen lässt und den Druck aus allem nimmt. Nun, da ich die Liste der No-Go-Wörter studiere, kommt mir dieses "easy" vor wie ein Ablenkungsmanöver, wie ein Abschneiden weiterer Diskussionen, ein Nachgeben also, ein Aufgeben vielleicht. "Easy" steht nicht auf der Liste. Aber wahrscheinlich gehört es dahin. Es entspricht in etwa dem laut der Liste verbotenen "Kein Problem!" Das soll man auch nicht sagen. Es könnte dem Gegenüber suggerieren, dass er/sie/es Probleme hat, die man selber nicht kennt, quasi Überheblichkeit. Ich weiß wie immer nicht, was man von so einer Wortliste halten soll, halte aber den Satz "Ich weiß es nicht" für unvermeidbar. Bei anderen Antworten besteht die Gefahr, dass man falsche Hoffnungen weckt. Was nämlich soll man anderes tun, als seine Ahnungslosigkeit eingestehen, wenn jemand fragt, wo Gott wohnt oder wo wir wohnen, wenn wir tot sind und ob der FC Nürnberg oder St. Pauli jemals wieder in die erste Bundesliga aufsteigen werden?