"Was ist morgen?", fragt Lolinger. Wenn sie das an einem Samstag fragt, ist "Sonntag" eine richtige, fürs Kind halt reichlich unbefriedigende Antwort. Sie will ja wissen, was passieren wird, was unternommen wird, ob es Action gibt. Aber wehe, es wird etwas gefragt, das sich nicht beantworten lässt. Da breitet sich dann Unruhe aus. Ungut, denn mit der Gewissheit hält der Mensch sein Leben zusammen. Wir wissen, dass die Zukunft jeden Moment daherkommt, aber unser Schicksal ist, dass wir keine Ahnung haben, was sie bringt. Dabei möchte man so gern glauben, dass wir etwas über die Zukunft wissen könnten. Aber das mit dem Glauben ist dann auch wieder so eine heikle, unberechenbare Sache.
Darum boomen Umfragen und Studien.
Darin wird dann mathematisch erklärt, woran wir sein können. So etwas gibt festen Halt - bis dann die nächste Befragung veröffentlicht wird mit neuesten, anderen Erkenntnissen. Und weil es Studien für eh fast alles gibt, sucht man sich die heraus, die einem grad in die aktuelle Lebenslage hineinpasst. Der Weintrinker freut sich, wenn Rotwein als ideale Krebsvorsorge taugen könnte. Einsame setzen sich auf Parkbänke, weil sich dort statistisch gesehen die meisten verlieben. Schadet nicht, so etwas zu wissen, um das Richtige zu tun oder zumindest die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Und weil ich mich gern in allerlei solche Tiefen des Daseins stürze, blättere ich hin und wieder im Fachblatt "Psychological Review". Und dort wurde ich kürzlich überrascht, dachte ich doch, der Mensch will alles wissen. Nun wird aber berichtet, dass wir gar nicht so viel wissen wollen wie vermutet. "Der Wunsch nach Nichtwissen ist erstaunlich weit verbreitet", sagt Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut. Er weiß das, weil er die Studie durchgeführt hat. Hypothetische Zukunftsfragen wurden da gestellt. So was in der Art: "Würden Sie wissen wollen, wann Ihr Partner sterben wird?" Oder: "Wollen Sie Ihren eigenen Todeszeitpunkt erfahren?" Das würde doch eine recht exakte Lebensplanung ermöglichen. Aber nein! Denn obwohl wir angeblich in einer Wissensgesellschaft leben, wollen über solche Endpunkte nur vier Prozent der Befragten Bescheid wissen. Auch möchte die Mehrheit nicht wissen, ob es nach dem Tod weitergeht, wann die Demenz kommt oder die Scheidung. Das ist verständlich. Wo das Negative mitschwingt, ist die Ignoranz ein Rettungsreifen. Aber die Studie zeigt, dass Unwissen auch bei weniger existenzialistischen Problemen bevorzugt wird - zum Beispiel beim Ausgang eines Fußballspiels. Dass ich das Ergebnis etwa eines Champions-League-Finales nicht wissen möchte, kann ich im Grunde auch besser nachvollziehen als die Ahnungslosigkeit um den eigenen Todeszeitpunkt. Das Gute zu wissen mindert ja die Freude am Erlebnis enorm. Solches Wissen tötet die Spannung, das Hoffen und das Bangen. So halte ich mich nun stur an die Ergebnisse dieser Studie und antworte Lolinger: "Morgen? Morgen wird alles super."

