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"stay-at-home girlfriends"- solange Frauen finanziell abhängig sind, hält die Gewalt weiter an

Junge Frauen begeben sich wieder öfter in die finanzielle Abhängigkeit von ihren Partnern. Damit sind der häuslichen Gewalt Tür und Tor geöffnet.

Katharina Seyfried
Die sogenannten stay-at-home girlfriends werden auf TikTok gerade wieder zum Trend: kochen, putzen und den Mann bedienen.
Die sogenannten stay-at-home girlfriends werden auf TikTok gerade wieder zum Trend: kochen, putzen und den Mann bedienen.

1,1 Millionen Frauen in Österreich wissen, wie es sich anfühlt, körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt zu sein. 1,1 Millionen - das sind 34,5 Prozent der über 15-Jährigen. Oder anders gesagt: jede dritte Frau dieser Altersgruppe. Zahlen wie diese erschrecken, auch wenn sie nicht überraschen dürften. Seit Jahren werden im Rahmen der "16 Tage gegen Gewalt" im November und Dezember zahlreiche Aktionen geplant, die auf das Gewaltproblem in Österreich aufmerksam machen sollen. Die Gewalt wird damit an den 349 anderen Tagen im Jahr nicht verschwinden. Doch immerhin steigt die Sensibilisierung. Angesichts der anstehenden Feiertage, in denen sich alljährlich Österreichs Frauenhäuser füllen, ist das dringend nötig.

Im Mai 2021 hat Bundeskanzler Karl Nehammer - damals noch als Innenminister - das bis dato "größte Gewaltschutzpaket der Geschichte" vorgestellt. 24,6 Millionen Euro wurden in den Opferschutz und die Präventionsarbeit mit Gefährdern gesteckt. Heute, mehr als eineinhalb Jahre später, lässt einen die Bilanz der Femizide ratlos zurück: 28 mutmaßliche Morde an Frauen durch ihre Partner waren es bereits in diesem Jahr. Das sind gleich viele wie im vergangenen Herbst. Hat sich also rein gar nichts gebessert?

Stellt man Expertinnen und Experten aus dem Gewaltschutz diese Frage, lautet deren Antwort: Jein. Gewaltprävention sei eine langwierige Aufgabe, die sich nicht von heute auf morgen bewältigen lasse.

Die ganze Arbeit und das ganze Geld bringen jedenfalls nichts, wenn sich zeitgleich gesellschaftliche Strömungen entwickeln, die jeder beherzten Frauenrechtlerin den Magen umdrehen. In den sozialen Medien sind sie derzeit der letzte Schrei: die sogenannten stay-at-home girlfriends. Die Generation Z schafft sich damit eine Neuauflage der Hausfrau aus den 1950er-Jahren - nur ohne Kinder und mit einem reichen Freund. Millionenfach werden die Videos der Anfang Zwanzigjährigen auf der Plattform TikTok geteilt. Ihr Alltag besteht aus grünen Smoothies, Hautpflege und Kochen für den Liebsten. An Geld verschwenden sie keinen Gedanken, das ist Männersache.

Jede Frau soll das Recht haben, frei zu entscheiden, wie sie leben will. Doch Trends wie diese haben einen gefährlichen Beigeschmack. Sie verherrlichen Abhängigkeit in all ihren Formen: emotional, sozial und vor allem finanziell. Das Publikum auf TikTok ist so jung, dass es finanzielle Freiheit noch nie selbst erlebt hat. Wie soll eine 14-Jährige den Wert des eigenen Einkommens erkennen, wenn sie von Social-Media-Stars vorgelebt bekommt, wie schön es ist, sich nicht scheren zu müssen?

Die Tendenz zur Retraditionalisierung, also zum Rückfall in alte Rollenmuster, ist schon seit einigen Jahren zu erkennen. Die Pandemie hat die Entwicklung beschleunigt. Wenn sie die Wahl zwischen einem schlecht bezahlten Job und Hausarbeit haben, wählen viele junge Frauen wieder Zweiteres. Spätestens wenn Kinder im Spiel sind, zahlt sich das Jonglieren zwischen Beruf und Familie für viele nicht mehr aus. Dass diese Frauen dann die Rechnung ohne ihr Pensionskonto machen, ist offensichtlich. Altersarmut ist eine reale Gefahr, die gerne verdrängt wird. Es lohnt sich, schon im jungen Alter mit dem Rechnen zu beginnen.

Was also passiert, wenn junge Frauen stolz in alte Rollenbilder schlüpfen und sich bereitwillig von ihren Männern abhängig machen? Die Antwort hört man nicht gerne, doch sie muss mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden: Häuslicher Gewalt werden damit Tür und Tor geöffnet.

Gewalt entsteht oft aus Abhängigkeit - in emotionaler, aber auch finanzieller Hinsicht. Das Sperren der Bankomatkarte, das Überwachen der Ausgaben - bei solchen Anzeichen sollten die Alarmglocken läuten. Drohungen, Erpressung, Kontrolle - das sind bereits Formen der psychischen Gewalt, die strafbar sind. Frauen, die von ihrem Partner finanziell abhängig sind, haben schlechte Chancen, sich aus dieser Gewaltspirale zu befreien. Der Arbeitsmarkt allein dient vielen dann nicht mehr als Ausweg, bedenkt man, dass die typischen Frauenberufe sträflich unterbezahlt werden.

Gewaltprävention muss daher viel weiter greifen als bislang. Opferschutz und Täterarbeit sind unverzichtbare Säulen, doch um Frauen langfristig zu stärken, muss sich fundamental etwas ändern. Neben dem Ausbau der Kinderbetreuung haben Arbeitgeber und Politik vor allem eine Aufgabe, die zurzeit von Gewerkschaften durchs ganze Land gefordert wird: Bezahlt die Frauen endlich ordentlich!