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Jagd auf die "wandelnde Apotheke"

Salzburg war das Zentrum für Kunst und Arzneien aus Steinböcken.

Apothekergefäße aus dem 19. Jahrhundert in der Ausstellung über jagdliche Heil- und Wundermittel in Zell am See.
Apothekergefäße aus dem 19. Jahrhundert in der Ausstellung über jagdliche Heil- und Wundermittel in Zell am See.

Die traditionelle oder Volksmedizin spielt in vielen Teilen der Welt noch eine wichtige Rolle. Eine negative Begleiterscheinung ist, dass Teile von seltenen Tieren wie Tigerknochen und Elfenbein als vermeintliche Wundermittel zu Höchstpreisen gehandelt werden, was das Überleben dieser Tierarten gefährdet.

Bis ins 19. Jahrhundert, als die moderne Medizin große Fortschritte machte, wurden Teile von allen möglichen Tieren auch in Europa als Arzneien gehandelt. Im Foyer des Krankenhauses Zell am See ist zu diesem Thema noch bis Oktober eine Ausstellung über jagdliche Heil- und Wundermittel zu sehen. Kurator Bernd Ergert schreibt in der Publikation zur Ausstellung, Fett, Federn, Krallen, Zähne und Knochen bestimmter Tiere dienten nicht nur als Heilmittel. Der seinen Schwierigkeiten und Ängsten ausgelieferte Mensch habe durch die Beschaffung dieser Teile auch versucht, die Eigenschaften der Tiere zu erlangen. Kindern um den Hals gehängte Wolfszähne sollten diesen das Zahnen erleichtern. Die Zähne der unbändigen Wildschweinkeiler nutzte man zur Abschreckung böser Mächte. Andere Tiere waren wegen ihrer Eigenschaften zu meiden. So soll Papst Zacharias 752 den Genuss des Fleisches der Hasen wegen deren "Geilheit" verboten haben.

Eine besonders wichtige Rolle in der Volksmedizin spielte in den Alpen der Steinbock. Dieses Tier überlebt in Regionen, in die sich damals kaum ein Mensch vorwagte, und bewegt sich mühelos in fast senkrechtem Gelände. Es musste mit wundersamen Kräften ausgestattet sein, die man sich gerne aneignen wollte. Einzelne Teile des Steinbocks wurden deshalb mit Gold aufgewogen. Dazu zählten das Herzkreuz, eine kreuzförmige Verknöcherung im Herz, und die Bezoarkugeln, die sich im Magen aus abgeleckten Haaren, Kräutern und Harz bilden.

Die Folge war, dass der Steinbock als wandelnde Apotheke betrachtet und gnadenlos gejagt wurde. Mit dem Aufkommen von Büchsen im 16. Jahrhundert verschwanden die meisten Bestände. Nur eine einzige Kolonie konnte sich in den Ostalpen bis um 1700 halten. Sie lebte im hinteren Zillertal, das damals zum Erzbistum Salzburg gehörte. Die Steinböcke brachten den Erzbischöfen Einnahmen und Prestige. In der Hofapotheke am Alten Markt wurde unter Erzbischof Guidobald von Thun (1654-1668) als eigene Abteilung eine Steinwildapotheke eingerichtet. Salzburg war auch bekannt für seine kunstvollen Schnitzereien aus Steinbockhorn, die in mehreren Werkstätten erzeugt wurden. Zum Schutz der wertvollen Bestände im Zillertal vor Wilderern engagierte Erzbischof Johann Ernst von Thun (1687-1709) rund zehn Jäger. Sie mussten alle Steinbockteile am Hof abliefern, auch verendete Tiere. Wilderern drohte die Galeere. Dennoch starb auch die Kolonie im Zillertal bis 1711 aus. Wohl auch deshalb, weil die Erzbischöfe immer wieder Tiere fangen ließen, um in Hellbrunn eine Zucht aufzubauen und sie im Tennengebirge anzusiedeln.