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Vielleicht muss man Donald Trump noch dankbar sein

Die undiplomatische Rüpelhaftigkeit des US-Präsidenten könnte sich in Zukunft zum Vorteil Europas auswirken.

Viktor Hermann

Der Infantilist aus dem Weißen Haus hat es wieder einmal geschafft: Er hat die europäischen Partner der USA brüskiert und verärgert. Seine rüde Vorgangsweise, die Art und Weise, wie er die Europäer beflegelt hat, nachdem er den saudischen Prinzen - bildlich gesprochen - die Füße geküsst hat, könnte aber durchaus eine wichtige Wirkung haben.

Angela Merkel hat es ausgerechnet im Bierzelt bei einem Wahlkampfauftritt schon in die richtigen Worte gefasst: Europa muss sich darüber klar werden, dass es sich nicht auf ewig auf den großen Bruder jenseits des Atlantiks verlassen kann. Damit hat die Kanzlerin den Finger in eine Wunde gelegt, die eigentlich schon lang schmerzen müsste. Die alleinige Supermacht USA ist als Partner willkommen. Die europäischen Staaten in der NATO verlassen sich seit Jahrzehnten darauf, dass die USA schon einspringen werden, sollte Europa je in eine kritische Situation kommen. Wie ein Kind am Rockzipfel der Mutter konnten die Europäer immer sicher sein, dass ihnen unter dem Schutzschirm der Supermacht nichts passieren kann.

Daher rührt ja auch das Entsetzen, als klar wurde, dass dieser Schutz löchrig geworden ist. Donald Trump ist zwar nicht ein Präsident von Wladimir Putins Gnaden, aber doch einer, der im Wahlkampf von der Hilfe russischer Geheimdienste und Internettrolle profitiert hat. Die Vorstellung, dass Trump und Putin dereinst die Welt - und Europa - in Einflusszonen aufteilen könnten, muss so manchen Europäer schockiert haben. Trumps rüpelhaftes Auftreten, seine Weigerung, die Bündnisverpflichtung der NATO überhaupt zu erwähnen, seine Ignoranz in Bezug auf die Klimapolitik, das alles dürfte Angela Merkel zur Einsicht gebracht haben: Auf die USA darf sich Europa nicht mehr im bisherigen Ausmaß verlassen.

Daraus folgt aber logisch eine neue Einigkeit, die die Europäische Union finden muss. Will sie sich gegenüber den Großen - USA, Russland, China - einigermaßen behaupten, dann braucht sie mehr Geschlossenheit. Sie müsste sich dazu durchringen, doch endlich einmal eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren. Sie müsste sicherstellen, dass nicht kleinliche Nationalismen
die Gemeinsamkeit zersplittern. Sie müsste tatsächlich als Einheit auftreten.

Bis dahin ist es vermutlich noch ein sehr langer Weg. Entscheidend wäre jetzt, Merkels Erkenntnis, dass Europa sich nicht mehr uneingeschränkt auf die USA verlassen kann, zur Einsicht aller europäischen Regierungen zu machen. Wenn das gelänge, wäre es der erste Schritt auf dem langen Weg, an dessen Ende Europa auf gleicher Augenhöhe mit den anderen Großen agieren könnte.